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Preisverleihung: Im Vordergrund v.r.n.l.: Claudia Moll, Jurymitglied und Co-Präsidentin BSLA; Jan Schudel, Bereichsleiter Umwelt Binding Stiftung; Ramon Grendene, Landschaftsarchitekt; Simone Baumann, Bauherrin; Jan Osterhage und Philipp Riesen, Architekten.

Das Projekt «In den Bäumen» in Egg ZH vereint gekonnt biodiverse Flora mit moderner Architektur.

Blick auf eines der extensiv begrünten Flachdächer

Gartenworkshop für die Bewohnerinnen und Bewohner mit dem Landschaftsarchitekten Ramon Grendene (rechts im Bild).

Verdichtet und gleichzeitig ökologisch bebaut, um der Natur möglichst viel zurückzugeben.

  • Nachhaltig konkret
  • Garten- und Landschaftsbau
  • Landschaftsarchitektur

Binding Innovationspreis 2021

Die Wohnanlage «In den Bäumen» in Egg ZH wurde mit dem Innovationspreis der Sophie und Karl Binding Stiftung ausgezeichnet. Die nachhaltige Architektur und Landschaftsgestaltung wie auch der soziale Kontext überzeugten die Jury.

«Heute habe ich beim Vorbeigehen Malvenblätter für den Salat am Mittagstisch gesammelt», erzählt Simone Baumann, Inhaberin der Simone Baumann Immobilien AG. Die Malvenblätter stammen vom Grundstück ihrer Grosseltern, die hier in Egg ZH einst als Bauern tätig waren. Als die Mutter von zwei Kindern das 5160 m2 grosse Grundstück (inkl. Landwirtschaftsfläche) erbte, beschloss sie, auf dem Grundstück eine Wohnanlage mit neun Wohnungen und einem Gemeinschaftsraum nach ökologischen Grundsätzen zu bauen. Mit einer bewussten Gestaltung der Gebäude und Aussenanlagen werden, so Baumann, die Kreisläufe der Natur imitiert. «Mein Ziel war es, das Areal verdichtet zu bebauen und gleichzeitig mit der ökologischen Bauweise sowie dem naturnah gestalteten Aussenraum möglichst viel der Natur zurückzugeben», erklärt die Bauherrin, die den Waldgarten mit Bäumen, Hecken und Wildkräutern als Vorbild für ihre Anlage bezeichnet. Schliesslich liegt das Areal nahe beim Waldrand. Zudem liegen ihr eine gesunde Ernährung mit Gemüse und Kräutern aus dem Garten sowie auch der Gemeinschaftsgedanke für die Pflege der Gärten am Herzen. Insgesamt wurden 310 000 Franken in die Grünraumgestaltung investiert – bei einem Bauvolumen von zehn Millionen Franken. «Von Seiten der Banken habe ich leider nur wenig Unterstützung für die Förderung der Biodiversität erhalten», kritisiert Baumann rückblickend.

Neue Lösungen im Umgang mit der ­Natur

Dafür wurde die Bauherrin von der Sophie und Karl Binding Stiftung mit Sitz in Basel ausgezeichnet. Für ihren ganzheitlichen Ansatz der Biodiversitätsförderung mit vielfältigen Aspekten des nachhaltigen Bauens und einer Gemeinschaftsbildung unter den Bewohnerinnen und Bewohnern erhielt sie bzw. ihr Projekt «In den Bäumen» anfangs November den Binding Innovationspreis 2021. Der mit 10 000 Franken dotierte Preis wurde auf die Projekte «In den Bäumen» und «Genuss für Mensch und Natur» der Gemeinde Lichtensteig SG aufgeteilt. Die Stiftung engagiert sich schweizweit fördernd und mit eigenen Projekten sowie Kooperationen in den Bereichen Umwelt, Soziales und Kultur. Der Binding Innovationspreis wurde dieses Jahr zum ersten Mal vergeben, wie Jan Schudel, Bereichsleiter Umwelt & Soziales sowie Projektleiter Binding Preis für Biodiversität, erklärt. Das Projekt wurde aus 74 eingereichten Gesuchen ausgewählt. Teilnahmeberechtigt sind Unternehmen, die öffentliche Hand, Nichtregierungsorganisationen sowie Schulen und Planungsbüros. 

«Die Innovation dieses Projekts besteht darin, dass vielfältige Methoden und Ansätze für die Förderung der Biodiversität umgesetzt wurden.» Ziel des Preises sei es, neue Lösungen im Umgang mit der Natur zu finden, die innovativ und skalierbar sind, damit sie auch anderswo nachgeahmt werden können. Als besonders eindrücklich bezeichnet Schudel beim Projekt in Egg unter anderem den gesamtökologischen Ansatz mit einem nachhaltigen Ressourcenmanagement, einer hohen Vielfalt an Pflanzen, den Dachgärten, dem Permakulturanbau und der Vertikalbegrünung. «Die auf Ganzheitlichkeit ausgerichtete Planung kann für andere Arealentwicklungen als Vorbild dienen», ist Schudel überzeugt. 

Über tausend Pflanzen

Wer die Überbauung «In den Bäumen» besucht, taucht ein in eine grüne Oase. Über tausend Pflanzen sowie mehr als 700 Pflanzenarten gedeihen auf dem Areal – z. B. in den Wildhecken, auf den Ruderalflächen, auf den Dachgärten, an den Fassaden, am Ufer des Teichs und auf den Kleinflächen rund um die gros­se Wohnanlage. Die lange Liste an Pflanzen umfasst z. B. Pfirsich- und Apfelbäume, Wildsträucher wie Sanddorn, Sauerdorn, Wildrosen, Pfaffenhütchen und Mispel, Stauden mit Heilpflanzen wie Echineacea, Eibisch, Malven, Engelwurz, Glockenblumen und Cardy, verschiedene Zwiebelgewächse und eine Vielzahl von essbaren Kräutern. Auf den intensiv und extensiv begrünten Dächern wurden Gärten mit einer hohen Bestandesdichte geschaffen. 

Die Dachgärten wurden durch die Bewohnerschaft wie auch die Landschaftsgärtner bepflanzt. Die teilbegrünten Fassaden werden mit einer eindrücklichen Vielfalt von essbaren oder blühenden Pflanzen wie etwa unterschiedlichen Kiwi-Sorten, Taybeere, Bocksdornbeere, Weinreben, Rankspinat oder Kletterrosen mehrschichtig mit essbaren Beerensträucher und Stauden kombiniert. Vielfältige Lebensräume bietet z. B. auch das Teichsystem, mit dem Regenwasser für die Bewässerung der Naturflächen gewonnen wird. Nisthilfen für Vögel wie auch für Wildbienen unterstützen die Vermehrung teils bedrohter Arten. Für die Beläge von Stras­sen und Wegen kamen sickerfähige chaussierte Kiesbeläge und «Tegula» als Verbundstein zum Einsatz.

Permakultur und organische Böden

Ein Grossteil der Pflanzen, darunter befinden sich auch seltene Exemplare wie  Rankspinat, Passionsblume, Büffelbeere oder Edeldisteln, wurden von Ramon Grendene und seinem Team auf einer nahegelegenen Fläche namens «The Shift Permaculture» nach dem Permakulturprinzip angebaut und vermehrt, was besonders kurze Transportwege ermöglichte. «Mit bewusster Beobachtung und Gestaltung werden in der Permakultur die Kreisläufe aus der Natur imitiert. Durch den Aufbau von verschiedenen Wechselbeziehungen zwischen Menschen, Pflanzen, Tieren oder Materialien lassen sich Systeme erschaffen, die langfristig stabil und damit zukunftsfähig sind», erklärt der Landschaftsarchitekt. Als Beispiel wurden bestimmte Baumarten und Reben so nebeneinander gepflanzt, dass diese symbiotisch voneinander profitieren. 

Grendene arbeitet bewusst mit Schwarzerden aus der gelenkten mikrobiellen Kompostierung. Korrekt gemischt und nachhaltig gepflegt, sorgen solche Erdsubstrate für die aktivste regenerative Bodenbelebung und seien daher der Schlüssel für den Aufbau von organischen Böden. Für die Begrünung der Fassaden entschied sich Grendene für das Seilsystem von «Klettergrün». Das variationsreiche Inox-System passe sich den Bedürfnissen der Pflanzen wie auch der Architektur an. «Die begrünten Fassaden bestechen zudem durch ihren klimatischen Effekt auf das Gebäude und die Umgebung, indem sie etwa im Sommer kühlend wirken», betont Grendene.

Ressourcenplanung und Wassermanagement

Der Fokus auf eine ganzheitliche Architektur und Landschaftsgestaltung brachte für die Planenden einige Herausforderungen und komplexe Fragestellungen mit sich. Im Gegensatz zu manch anderen Bauprojekten arbeiteten die Architekten und Landschaftsplaner von Anfang an Hand in Hand, wie Grendene berichtet. «Aus Sicht der Permakultur wurde innerhalb des architektonischen Entwurfsprozesses eine <Guideline> formuliert.» Wo immer möglich, wurden auf dem Areal vorhandene Ressourcen direkt für den Bau verwendet – z. B. Lehm aus dem Aushub, Natursteine oder auch Holz von Bäumen, die gefällt werden mussten.

Geheizt wird mit Erdsonden und einer Wärmepumpenanlage. Für eine praxis­taugliche Arbeit mit den herausfordernden Fragestellungen rund um die Schnittstellen zwischen Architektur und Landschaftsplanung wurden verschiedene Module definiert, in denen sich die Planenden z. B. mit dem Thema Dachgärten, Wassermanagement oder Energie beschäftigten. «Durch dieses Hinunterbrechen auf Modulebene fiel es uns leichter, die komplexen Themen pragmatisch zu behandeln», erklärt Grendene.

Sozialer Zusammenhalt

Ein wichtiger Faktor im holistischen Ansatz dieser Überbauung ist der Gemeinschaftsgedanke bzw. der soziale Kontext rund um den Unterhalt der Grünanlagen. Die Bewohnenden treffen sich einmal im Monat für Arbeitseinsätze auf den Grünanlagen. So wird der soziale Zusammenhalt innerhamlb der Siedlung gestärkt. Vor wenigen Tagen deckten die freiwilligen Gärtnerinnen und Gärtner die Baumstämme und Pflanzen winterfest ab und bedeckten die Böden mit Mulch. «Wir wollen hier Gemeinschaft leben und uns gegenseitig unterstützen», betont Baumann, die z. B. kürzlich den Bewohnerinnen und Bewohnern der Siedlung ihre Saftpresse für Kräuter, Beeren und Obst anbot.

Schon bei der Ausschreibung der Wohnungen wurde dieses Konzept bewusst hervorgehoben, um möglichst jene Menschen anzusprechen, die diesem Gemeinschaftsgedanken offen gegenüberstehen. «Trotzdem ist es uns ein Anliegen, nicht dogmatisch zu wirken», ergänzt Baumann. Ziel sei es, dass die Grünanlagen künftig von den Bewohnerinnen und Bewohnern grösstenteils selber unterhalten werden können. Aus diesem Grund führt der Landschaftsarchitekt regelmässige Workshops durch, in denen er z. B. über Mischkultur oder Pflanzenschnitt praxisnahe Tipps vermittelt. Diese Workshops sollen künftig auch für Externe  offenstehen. «Ich begleite die Leute als Coach, sodass sie künftig den Unterhalt ohne externe Hilfe ausführen können und mit der Natur interagieren.» Weil viele Heilpflanzen auf dem Gelände gedeihen, führte diesen Herbst eine Spezialistin für Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) einen Workshop durch und zeigte sich laut Simone Baumann begeistert von der hohen Pflanzenvielfalt auf engem Raum. |

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