Der Wald hat sich für den Winter gewappnet, die heimischen Laubbäume und Sträucher sind nackt, die Blätter liegen am Boden. Eine ideale Zeit für den Förster des Reviers Illnau-Effretikon, Herbert Werlen, den ungebetenen Wald-pflanzen auf die Schliche zu kommen. Es sind die Neophyten, wie zum Beispiel Henrys Geissblatt und der Kirschlorbeer. Die immergrünen Pflanzen fallen durch ihr saftiges Grün inmitten der blätterfreien Waldgesellschaft auf. Henrys Geissblatt (Lonicera henryi) ist wahrlich ein für die Forstleute ungeliebter Einwanderer aus China. In seiner Heimat ist die immergrüne Schlingpflanze ein unaufdringlicher, unscheinbarer Flora-Genosse. In der Schweiz hingegen verhält er sich invasiv. In den Gärten wurde er bis vor wenigen Jahren gerne zur Begrünung von Hausfassaden und Pergolas gepflanzt. Frisch angepflanzt wird Lonicera henryi jedoch kaum mehr in die Gärten, da 2017 der Branchenverband JardinSuisse eine Verkaufsverzicht-Vereinbarung (siehe Kasten) für seine Mitglieder formuliert hat. Die älteren Geissblätter, die Früchte bilden, sind jedoch eine stetige Quelle für neue Pflanzen im Wald.
Lonicera henryi verbreitet sich vegetativ über kriechende, rasch wurzelnde Triebe oder über den Samentransport durch die Vögel. «Meist gedeihen die ersten Abkömmlinge ausserhalb der Gärten an Waldrändern und von dort breiten sie sich in den Wäldern aus», erklärt Werlen. Die Pflanze braucht wenig Licht und wächst zuerst am Boden entlang, dann schlingt sie sich an den Bäumen hoch, dies bis zu sechs Meter. Sie überwächst alle vor Ort stehenden Waldpflanzen, stiehlt den heimischen Jungbäumen das Licht, den Platz und zerdrückt die Bodenvegetation. «Wird nichts gegen das Ausbreiten der Kletterpflanze unternommen, wuchert und verbreitet sie sich stetig weiter», weiss der Förster. Seit Jahren bekämpfen die Forstcrew in Illnau-Effretikon und der regionale Naturschutz gemeinsam die vielfältigen Neophyten-Vorkommen und seit rund vier Jahren gehört Henrys Geissblatt dazu. «Wir zerren, wo immer möglich, die Jungpflanzen mit der Wurzel von Hand aus. Ältere Pflanzen müssen mit den Wurzeln mühsam ausgegraben werden, dies zum Teil sogar mit Hilfe von Maschinen.» Die ausgerissenen, geschnittenen Pflanzenstücke können nicht einfach im Wald deponiert werden, sondern müssen auf die Thermokompostierung geliefert oder auf einem sicheren Asthaufen ohne Bodenkontakt abgelegt werden. Dank den Vorkehrungen wird ein erneutes Wurzeln und Ausbreiten verhindert. Ein einmaliger Einsatz pro entdeckter Fläche genügt nicht. Die Forstleute kontrollieren jährlich die betroffenen Flächen. Die Henrys-Geissblatt-Standorte werden im GIS – dem zentralen Instrument zur Visualisierung der Geodaten des Kantons Zürich – erfasst und der aktuelle Zustand darauf festgehalten. Glücklich ist Werlen, wenn er auf seiner GIS-App auf dem Handy zu einer Fläche den Begriff «getilgt» eintippen kann. Das heisst, die Bemühungen waren erfolgreich, die Schlingpflanze hat sich von dieser Stelle verabschiedet. All diese Bemühungen benötigen viel Zeit und verursachen hohe Kosten.
Wald in sechs Testgemeinden wird durchkämmt
Seit diesem Jahr läuft ein Bekämpfungsprojekt der Abteilung Wald des Kantons Zürich. In sechs Testgemeinden werden definierte Waldflächen nach Vorkommen von Henrys Geissblatt durchkämmt, erfasst und dessen systematische Bekämpfung dokumentiert. Ein Teil des Forstreviers von Illnau-Effretikon gehört dazu. «Dank dieser systematischen Erfassung der Geissblattbestände und des dokumentierten Bekämpfungsaufwandes pro Quadratmeter erhalten wir Erfahrungszahlen für deren Bekämpfung. Parallel dazu entsteht ein Wissensfundus rund um die wirkungsvollsten Massnahmen zur Eindämmung der invasiven Schlingpflanze im Wald», erklärt Urs Kamm, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Wald des Kantons Zürich. Nebst Henrys Geissblatt existieren weitere Pflanzen, die die heimische Waldgesellschaft verdrängen und sich invasiv verhalten. So zum Beispiel der Kirschlorbeer, die kanadische Goldrute, das drüsige Springkraut, der japanische Stauden-Knöterich. Solch gebietsfremde Pflanzenarten bieten kaum Lebensraum für heimische Insekten, Pilze und Bakterien. Dies bedeutet eine Verarmung der Biodiversität. Für Werlen ist klar: «Wir müssen Reviergrenzen überschreitend die problematischen Neophyten bekämpfen und tilgen.» Der Forstmann möchte auch künftig in den Schweizer Wäldern einheimische Pflanzen pflegen, hegen und ernten, so, wie es im Waldgesetz verankert ist, das standortgetreue Naturverjüngung verlangt.
Massnahmen zur Prävention
- Neupflanzungen verhindern (seit 2017 besteht eine Verkaufsverzicht-Vereinbarung)
- Samenbildung im Siedlungsraum ist möglichst zu verhindern
- Kontrolle im Wald im Winter (immergrüne Pflanze erkennbar)
- Pflanzenmaterial korrekt entsorgen (mit der Wurzel)
- Grundlagen/Monitoring:
- Erfassen der Bestände im
- WebGIS
Was bedeutet die Verkaufsverzicht-Vereinbarung?
Derartige Pflanzen müssen im Verkauf ausgezeichnet sein oder es muss dazu vollumfänglich beraten werden. «Informieren Sie Ihre Kunden über das invasive Potenzial, den korrekten Umgang und die fachgerechte Entsorgung», so JardinSuisse. Der Verband empfiehlt: «Pflanze sofort aus dem Sortiment nehmen, nicht mehr produzieren und verwenden (Verkaufsverzicht). Das Schadenspotenzial ist hoch und Kontrollmassnahmen sind kaum möglich.»
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