Die Transformation der Landschaft durch die bauliche Entwicklung ist allgegenwärtig. Nicht nur die augenfälligen Veränderungen wie die Siedlungsentwicklung und der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen formen zunehmend das Landschaftsbild der Schweiz, sondern auch Abbautätigkeiten und Deponien sowie die schleichenden Umwandlungsprozesse durch die Landwirtschaft. Diese «neuen» Landschaften müssen sorgfältig geplant und qualitätsvoll gestaltet werden. Dabei gilt es, die Chancen multifunktionaler Nutzungen zu erkennen. Beispielsweise können Revitalisierungen von Gewässern attraktive Erholungszonen bieten oder Siedlungsräume werden zu Biodiversitäts-Hotspots.
Diesen Herausforderungen wollte sich der Rapperswilertag 2017 mit dem «Denkansatz der grossen Dimensionen» stellen. Nicht mit kurzsichtigen, sondern mit vorausschauenden Überlegungen, nicht mit eng begrenztem, sondern mit übergeordnetem Denken, nicht mit kleinteiligen, sondern mit grossräumigen Betrachtungen entstünden die vielversprechenderen Lösungsansätze, war das Credo.
In seiner Begrüssungsrede schwor Florian Bischoff, Co-Präsident des BSLA, die zahlreichen Teilnehmenden darauf ein, das Feld nicht den Raumplanern und Architekten zu überlassen. Thomas Meyer-Wieser, Vertreter des SIA, pries die Zusammenarbeit des Architekten Louis Le Vau mit dem Innenarchitekten Charles Lebrun und dem Landschaftsarchitekten André Le Nôtre bereits im 17. der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen bei der Realisierung von Vaux-le-Vicomte als erstrebenswertes Vorbild zur Lösung heutiger Probleme.
Hamburg denkt gross
«Die Freie und Hansestadt Hamburg ist sowohl Grossstadt als auch Bundesland, so denkt und plant es», stellte Christiane Sörensen fest, Professorin an der HafenCity Universität Hamburg. Die grossmassstäbliche Planung in dieser Stadt nehme eine wichtige Rolle ein und beweise Kontinuität. So hat das Achsenmodell von Oberbaudirektor Fritz Schumacher (1869-1947) nach wie vor prägenden Einfluss auf die Entwicklung der Stadt. In dieser Konsequenz sind zusammenhängende Kulturlandschaften als Landschaftsachsen bis in den Stadtkern hinein erhalten geblieben. Derzeit soll der Hamburger Osten als Neue Stadt entwickelt werden. Teile dieses Gebietes liegen bereits im feuchten Marschland mit maritimer und agrarischer Nutzung. Ziel sei es, einen gemischten Stadtteil mit Wohnen und Arbeiten entstehen zu lassen, mit der Elbinsel Moorfleet als zentralen Erholungsort. Es gehe darum, eine fruchtbare Stadt zu denken. Dabei müssten alle Flächen für eine produktive Stadt aktiviert werden. Nach Sörensen sind die Zukunftsthemen in der Planung offensichtlich. Es gehe darum, welche Aufgaben das Ländliche in den Grenzen der Stadt übernehmen könne, wie man sich am besten an den Klimawandel anpasse und auf welche Art Räume für soziale Interaktionen geschaffen werden könnten, damit keine monokulturale Stadt entsteht.
Big scale, small footprint, high impact
Jürgen Faiss, Landschaftsarchitekt bei Grün Stadt Zürich und Dozent an der HSR, zeigte sich beeindruckt von Hamburgs Weite. Doch auch Zürich denke in grossem Massstab. Hier gehe es aber mehr darum, mit kleinen Eingriffen eine möglichst grosse Wirkung zu erzielen. Denn mit der Siedlungsentwicklung nach innen stehe der Wohnbevölkerung nicht mehr überall innerstädtischer Freiraum in ausreichendem Mass zur Verfügung. Die Landschaft am Stadtrand rücke deshalb stärker in den Fokus der Freiraumplanung. Diese biete zwar viel Raum, aber wenig Ort, weil sie mehrheitlich Produktionsflächen enthält. Die Stadt Zürich will hier nach dem Ansatz der Akupunktur an ausgewählten Lagen oder entlang besonderer Routen mit gezielten gestalterischen Eingriffen Identifikationsorte schaffen. Den Ansatz des Landschaftslabors wendet die Stadt Zürich beim Wald an. Der Erholungswald in Zürich hätte ein grosses Potenzial. Mit verschiedenen Pilotprojekten werde die urbane Waldentwicklung erprobt.
Entwerfen ist keine Frage des Massstabs
Die Planung von regionalen und metropolitanen Räumen unterliege in der Regel der Ägide der Raumplaner und Geografen. Landschaftsarchitekten und Architekten befassten sich seltener mit solchen Massstäben, meinte Maresa Schumacher, dipl. Architektin ETH und Geschäftsleiterin von yellow z in Zürich. Die entwerferischen Kompetenzen hinsichtlich der räumlichen Wahrnehmung seien aber in dieser Massstabsebene gefragt. Anhand des Konzeptes für den Agglomerationspark Aareland, des Leitbilds für den Grossraum Bern und der Vision für den Metropolitanraum Zürich zeigte sie die enge Verflechtung von Siedlung und Landschaft auf – eine spezifische Eigenschaft und Qualität der Schweizer (Stadt-)Landschaft.
Dass die grosse Dimension nicht nur im städtischen, sondern auch im ländlichen Raum zunehmend an Bedeutung gewinnt, bestätigte das Referat von Raphael Aeberhard, Landschaftsarchitekt BSc FHO bei SKK Landschaftsarchitekten, Wettingen. Die vom Wegbrechen der Medizinal- und Uhrenindustrie stark gebeutelten Frenkentäler leiden seither unter sinkendem Steuersubstrat, tiefem Lohnniveau, steigendem Standortwettbewerb und Überalterung der Bevölkerung. Erst durch die Erarbeitung eines regionalen Gesamtkonzeptes, das sich mit der Zukunft der Frenkentäler auseinandersetzt und die Qualitäten dieser Natur- und Kulturlandschaften aufzeigt, begannen die Projektgemeinden, sich als Teil des Ganzen zu sehen.
Grosse und kleine Massstäbe verbinden
Christoph Küffer, Professor für Siedlungsökologie an der HSR, versuchte in seinem Vortrag, den Brückenschlag zwischen der Ökologie und der Landschaftsarchitektur zu schlagen. Da wir in verplanten Landschaften lebten, nehme durch die Zunahme an gebauter Infrastruktur die ökologische Infrastruktur ab. Wenn ein Ort ein Stück Natur verliere, leide das ganze Ökosystem, weil das Netzwerk und die Vernetzung wichtig seien. «Ein Weiher in einem Garten erhält keine Froschart am Leben, wenn das umliegende Quartier keine weiteren Feuchtgebiete anbieten kann», meinte Küffer. Dies erfordere, die Gestaltung im kleinen Massstab in die Planung der grossmassstäblichen Landschaft mit all ihren Infrastrukturen einzubinden. Um immer heisser werdende Städte abzukühlen, genüge es nicht, eine Baumallee zu pflanzen. Das Stadtklima müsse integral geplant werden, um stabile Ökosysteme herzustellen. Ob nun die ökologisch funktionierende Stadt- und Kulturlandschaft die wichtigste Aufgabe des 21. Jahrhunderts sein wird, wie es Küffer prophezeite, oder die produktive Landwirtschaft angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, gemäss eines Einwandes aus dem Publikum, dies wird uns eher die Zukunft als die Tagung beantworten können.
Topologie – ein mathematischer Begriff
Die Topologie ist ein aus der Mathematik entlehnter Begriff, der die räumliche Beziehung mathematischer Strukturen beschreibt, die unter stetigen Verformungen erhalten bleiben. Annette Freytag, Associate Professor of Landscape Architecture an der State University of New Jersey, USA, hat diesen Begriff auf die Landschaftsarchitektur umgelegt, wobei sie mit der Bezeichnung «Topologie» eine ganzheitliche Betrachtung und Bearbeitung des Landschaftsraumes auf allen Massstabsebenen verstanden wissen will. Eine Problematik städtebaulicher Entwürfe ortete Freytag in einem Mangel, grossmassstäbliches Denken mit kleinmassstäblichem Erleben in Beziehung zu setzen. Vereinfacht ausgedrückt: Der schöne Panoramablick auf eine Stadt ist ein Trugbild, denn die städtischen Menschen leben unten. Unten leben heisst an der Autobahn oder in der Flugschneise. «In diesem Fall wurden die Landschaftsarchitekten erst gerufen, als die Bauwerke schon standen, als ‹Verhübscher› der ungeliebten Restflächen», kritisierte die Professorin. «Wir sollten uns zurückbesinnen auf den preussischen Gartenkünstler Peter Joseph Lenné (1789-1866)», meinte Freytag. Sein Landschaftsverschönerungsplan für Potsdam verband mit Sichtachsen die einzelnen Parkanlagen optisch miteinander und liess einzelne Bauwerke wirkungsvoll in Szene setzen. «Indem wir landschaftliche Gegebenheiten analysieren und uns überlegen, wie wir die Dinge ordnen, indem wir uns auf Bestehendes rückbesinnen ohne etwas Neues zu erfinden, denken und gestalten wir topologisch», erklärte Freytag. Mit diesem Ansatz wirke ein gebautes Projekt als etwas Entstandenes, nicht als etwas Gebautes.
Kleine Länder, kleine Städte – grosse Visionen
Topologischer Natur ist auch das Monsterprojekt des Gotthard Alp Transit. Rainer Matthias Klostermann, Architekt und Mitinhaber des Ateliers Feddersen & Klostermann in Zürich, gewährte dem Publikum ein paar Einblicke in seine Erlebnisse als Projektleiter. Die Frage, wie Tunnelein- und ausfahrten, Galerien, Lüftungsschächte und Schienennetze optisch bestmöglich ins Landschaftsbild eingepasst würden, war eine zentrale Herausforderung für die Planenden. Wollten aber Landschaftsarchitekten in solchen Projekten das Feld nicht den Raumplanern und Architekten überlassen, müssten sie im Dialog mit besserem Wissen und nicht mit Besserwissen auftreten, mahnte Klostermann.
Mit dem Rhein als wichtigsten Fluss in den Niederlanden beschäftigt sich Pieter Schengenga, Landschaftsarchitekt und Partner bei H+N+S Landschapsarchitecten, Amersfoort (NL). Er zeigte auf, in welchen Dimensionen man denken sollte, um Landschaftsgestaltung und Hochwasserschutz miteinander zu vereinen.
Beeindruckend waren die Ausführungen von Sam Keshavarz und Christoph Duckart, beide Landschaftsarchitekten bei White Arkitekter in Stockholm. Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, liegt in einem Abbaugebiet für hochwertiges Magnetit-Eisenerz. Mit fortschreitendem Abbau werden Stadtteile zu unsicherem Gebiet. Deshalb muss die Stadt bis in etwa drei Jahrzehnten um rund 5 km nach Osten «verschoben» werden. Die Alternative wäre, die wirtschaftliche Grundlage aufzugeben. Anhand fotorealistischer Animationen zeigten die beiden Referenten auf, wie sich die Architekten die Entwicklung der nächsten 100 Jahre für ein neues, modernes und mit der Geschichte verbundenes Kiruna vorstellen. Für Interessierte lohnt sich der Link auf www.white.se/projects/kiruna – ein Projekt, im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos und grossmassstäblich.
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