Ende März organisierte die Stiftung Praktischer Umweltschutz (Pusch; pusch.ch) eine Fachtagung zum Thema «Attraktive Siedlungsränder für Mensch und Natur». Eingeladen waren Vertreterinnen und Vertreter von Baubehörden und -verwaltungen, von Naturschutzfachstellen, Planungsbüros sowie Naturschutzorganisationen. Beleuchtet wurde u. a. die Bedeutung qualitativ hochwertiger Siedlungsränder aus verschiedenen Blickwinkeln. Es gelte den Rand in den Fokus zu rücken, meinte Jennifer Zimmermann, Leiterin Abteilung Gemeindeangebote und Erwachsenenbildung Stiftung Pusch, die die Tagung moderierte.
Anhand aktueller Projekte wurde aufgezeigt, wie die vielfältige Nutzung und Vernetzung im Übergangsbereich zwischen bebautem Raum und offener Landschaft gelingen kann. «Siedlungsränder multifunktional aufwerten», «Siedlungsränder als Übergangsräume von zwei Seiten» oder «Siedlungsrand als Visitenkarte der Gemeinde» lauteten u. a. die Titel der Referate. Wie ein roter Faden zog sich die Herausforderung, wie sich die unterschiedlichen Interessen und Ansprüche an diesen Raum unter einen Hut bringen lassen, durch die Tagung.
Der multifunktionale Siedlungsrand
Das neue Raumplanungsgesetz der Schweiz fordert eine Entwicklung nach innen. In den letzten Jahrzehnten entstanden die Siedlungsränder oft zufällig durch Einzonungen von Kulturland – alte äussere Ränder wurden zu inneren Rändern. Die Begriffe Stadt- und Siedlungsrand sind unscharf geworden
«Ein Siedlungsrand ist weder eine Linie noch eine Fläche, sondern ein Übergangsraum, in dem verschiedene Zonen und Nutzungen zusammentreffen», erläuterte Victor Condrau, Landschaftsarchitekt FH (dueco.ch). So sei der Siedlungsrand als Naturraum von Bedeutung, beispielsweise für Biodiversität und Klima und als Produktionsraum für die landwirtschaftliche Nutzung. Als Erholungsraum fördere er Wohn- und Lebensqualität und als Begegnungsraum würden gesellschaftliche und soziale Anliegen bedient. Der Siedlungsrand sei aber auch Identifikationsraum, denn er bestimme Orts- und Landschaftsbild und werde so zur Visitenkarte eines Ortes, die für das Standortmarketing durchaus von Bedeutung sein könne.
Der Siedlungsrand als Gestaltungselement
einer gesamträumlichen Entwicklung
Wie können diese Themen und Einflüsse in einen qualitätsvollen Übergangsbereich zwischen Siedlungen und Kulturlandschaft überführt werden? Andrea Näf, Kantonsplanerin, erläuterte am Beispiel des Kantons Thurgau, dass der Übergang zwischen Siedlung und Landschaft als wichtiges Gestaltungselement der gesamträumlichen Entwicklung zu betrachten sei. Auf der Suche nach Qualitäten und Potenzialen von Siedlungsrändern, habe sich das Amt für Raumentwicklung Thurgau an einem Forschungsprojektes des Instituts Urban Landscape der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) beteiligt, gemeinsam mit der Abteilung Raumentwicklung des Kantons Luzern. Dabei wurden die Siedlungsränder von acht Gemeinden untersucht, die unterschiedliche Gemeindegrössen, Landschaftsräume und Topografien aufweisen. Einerseits wurden Beispiele bestehender Übergänge, die räumlichen und qualitativen Ansprüchen genügen, dokumentiert. Andererseits wurden Projekte für Siedlungsränder erarbeitet, die den Übergangsbereich aufgrund der vorgefundenen Qualitäten, Probleme und Potenziale weiterentwickeln. Schliesslich wurden die Beispiele und Projekte in fünf räumlichen Strategien zusammengefasst.
Fünf «Strategien» für Siedlungsränder
Grünzüge: Mit der Verknüpfung von Freiräumen zu zusammenhängenden Grünzügen können attraktive Aufenthaltsräume geschaffen sowie die ökologische Vernetzung gestärkt werden. Baumreihen und Hecken sind dabei wertvolle Gestaltungsmittel. Grünzüge sind zudem attraktive Verbindungen für den Langsamverkehr, z. B. entlang von Gewässern.
Verzahnung: Der Siedlungsraum und die Kulturlandschaft können über landschaftliche und bauliche Elemente miteinander verknüpft werden. «Das Ineinandergreifen des Siedlungsraums und der Kulturlandschaft birgt jedoch die Gefahr, dass keine klaren Ränder mehr zu erkennen sind», meinte Näf.
Kanten: Topografie oder Verkehrsinfrastruktur können Kanten bilden, bei denen Elemente und Nutzungen untertschiedlicher Art einander gegenübergestellt werden. Sie können helfen, den Übergang zwischen Siedlung und Kulturlandschaft zu klären.
Landschaftskammern: Als Landschaftskammern bezeichnet werden grössere, attraktive Freiräume mit ortsspezifischen Qualitäten im Siedlungsinnern. Sie geraten mit der aktuellen Entwicklung nach innen zunehmend unter Druck. Die Stärkung der ortsüblichen Bepflanzung sowie eine unveränderte natürliche Topografie können zur Erhaltung von Landschaftskammern beitragen.
Ortseinfahrt: Sie ist häufig durch zufällig entstandene Gewerbe-, Industrie, Wohn- und Freizeitnutzungen geprägt. Wenn Wohn- und Gewerbenutzungen am Ortseingang strukturiert angeordnet und gestaltet werden, können diese zur Visitenkarte einer Gemeinde werden. Insbesondere hohe Gebäude und Baumreihen erzielen eine Fernwirkung und akzentuieren den Auftakt einer Ortschaft.
Abschliessend betonte Näf den integralen Ansatz für Übergangsräume, Freiräume und ökologische Infrastruktur. Siedlungsbegrenzungslinien würden für einen qualitativ hochwertigen Siedlungsrand nicht ausreichen. Darum müssten qualitative Faktoren wie Bebauungsstruktur und der Umgang mit der Topografie benannt und festgelegt werden.
Studie «Landschaft für eine Stunde»
Im Kanton St. Gallen wurde die Aufwertung von Siedlungsrändern im Rahmen des Agglomerationsprogramms St. Gallen–Bodensee mit dem Projekt «Landschaft für eine Stunde – Aufwertung und Gestaltung der Übergangsräume von Siedlung zu offener Landschaft» thematisiert. Anhand von vier Testgebieten (Flawil – Botsberg, Gossau – Gapf, Gaiserwald – Ätschberg, St.Gallen – Gübsensee) wurde ausgelotet, welche Entwicklungspotenziale diese Übergangsräume (Siedlungsränder) beinhalten. Im Rahmen des Projektes wurden die notwendigen Schlüsselakteure identifiziert, involviert und sensibilisiert. Es wurden nicht nur konkrete Vorschläge für die Attraktivierung der Übergangsräume erarbeitet, sondern auch Finanzierungsmöglichkeiten der Gestaltungs- und Entwicklungsmassnahmen aufgezeigt. So sollten die Übergangsräume zwischen Siedlung und offener Landschaft danach untersucht werden, ob sie als verbindende Ränder oder als trennende Grenzen funktionieren. Aufbauend auf den Erkenntnissen aus den vier Testgebieten wurde ein Leitfaden für die Realisierung von Siedlungsrandprojekten erarbeitet, um Nachahmern eine Planungshilfe an die Hand zu gegeben.
«Es ist erkannt worden, dass die unverbauten Landschaftsräume in den Agglomerationen eine immer grössere Bedeutung erhalten und immer mehr auch eine soziale Funktion als Begegnungs- und Erholungsraum erfüllen müssen», heisst es im Schlusswort der Studie.
Das Wegenetz als ein Schlüsselfaktor
Damit eine Landschaft erfahren und gebraucht werden könne, müsse sie auch zugänglich sein. Die Fallbeispiele hätten gezeigt, dass das Wegenetz ein Schlüsselfaktor für die Naherholung ist, und dass diesem Faktor noch zu wenig Beachtung geschenkt wird. Es brauche mehr Wege, die von der Siedlung in die Grünräume führen und in den Grünräumen selbst ein dichtes und abwechslungsreiches Wegenetz.
Die Funktion und die Wahrnehmung der Wegenetze hat sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts massiv verändert. Bei der Untersuchung der Geschichte der Wegeentwicklung in den vier Testgemeinden stellte man fest, dass das Wegen etz in der Zeit von 1900 bis 1960 immer engmaschiger wurde, danach jedoch wieder reduziert wurde. Die einst durchgehenden Erschliessungs- und Verbindungswege zeigen die Tendenz, Stichstrassen zu werden. «Für die Erschliessung der Gehöfte ist dieses System sehr effizient. Für die Naherholung sind die verloren gegangenen Verbindungen ein Nachteil», heisst es in der Studie. Der Spaziergänger wünsche sich ein Wegenetz, aus dem er sich je nach Bedarf eine mehr oder weniger lange Promenade zusammenstellen kann. Idealisiert könne man sich eine Art «Leiter» vorstellen.
Im «Leitfaden» der Studie wird diese Leiter konkretisiert:
Basiszustand: Primär ist aus Sicht Naherholung darauf zu achten, dass es ein durchgängiges Wegesystem gibt, das aus dem Siedlungsbereich direkt zugänglich ist und unterschiedlich lange Promenaden möglich macht.
Idealzustand: Im nächsten Schritt verfolgt man das Ziel, die Wege möglichst abwechslungsreich auszubilden. Abwechslungsreichtum entsteht dabei u. a. durch Wechsel von Wald / Flur, Fernsicht /Nahsicht, markante Richtungsänderungen sowie durch das Einbinden von Sehenswürdigkeiten. Das Ziel sollte dabei sein, dass unter Wahrung einer direkten und logischen Linienführung mindestens zwei oder mehr Abwechslungen oder Sehenswürdigkeiten pro 15 Minuten Gehzeit vorkommen.
«Es besteht die begründete Hoffnung, dass über dieses Verfahren Projektorganisationen aufgestellt werden konnten, die das vorliegende Modellvorhaben überdauern», schreiben die Verfasser der Studie abschliessend. So seien bei zwei Fallbeispielen in Zusammenarbeit mit dem Fonds Landschaft Schweiz konkrete Aufwertungsmassnahmen in Prüfung. Über diese konkreten Umsetzungen hinaus will die Studie – so auch die Pusch-Fachtagung – Lust machen, ähnliche Projekte anzupacken und umzusetzen.|
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