Der urbane Baum hat in Europa als Element der Stadt- und Landschaftsgestaltung eine über 300-jährige Geschichte [1] und geniesst heutzutage grosse Anerkennung dank seines ökologischen, ökonomischen und sozialen Nutzens [2]. Studien zeigen, dass Stadtbäume als natürliche Klimaanlagen wirkungsvolle Mittel im Kampf gegen urbane Hitzeinseln sind [3], [4], in dieser Funktion Energiekosten senken oder nach Starkregen den Oberflächenabfluss reduzieren [5], [6]. In ästhetischer Hinsicht erhöhen gesunde Bäume den Wert von Liegenschaften [7] und wirken sich positiv auf Stress oder Krankheiten des Menschen aus [8], [9]. Zusätzlich sind Stadtbäume wichtige Komponenten in der Vernetzung städtischer Lebensräume und können die lokale Artenvielfalt steigern [10].
Die Eigenschaften von urbanen Baumstandorten
Viele dieser vermeintlichen Vorteile sind jedoch stark von der Vitalität und Grösse der Bäume abhängig und werden erst spürbar, wenn die Bäume über lange Zeitperioden an ihrem Standort gedeihen und ihre Funktionen auch tatsächlich nachhaltig erfüllen können [11]. Leider sieht die Realität oft anders aus. Viele Stadtbäume leiden unter einer reduzierten Vitalität und weisen eine viel höhere Mortalität als ihre ländlichen Artgenossen auf [12]. Die Gründe sind meistens in der stark anthropogen geprägten Umgebung der Stadt zu finden. Denn der urbane Baumstandort unterscheidet sich in vielerlei Hinsichten stark vom Baumstandort in der freien Landschaft oder im Wald. So stehen Stadtbäume oft auf stark verdichteten Böden, quetschen ihre Wurzeln in zu kleine Baumgruben, wachsen auf ungünstigem Substrat oder sind bis fast an den Stamm mit wasserundurchlässigen Belägen versiegelt. Diese Standorte sind gekennzeichnet durch unzureichende Sauerstoff- und Gaszufuhr sowie grossen Oberflächenwasserabfluss, was wiederum zu Wassermangel und eingeschränktem Wurzelwachstum führen kann. Zusätzlich birgt die urbane Umgebung weitere Stressfaktoren, wie Schadstoffimmissionen, gestörte Nährstoffbilanz durch das Abtragen von Laub, hohen Eintrag von Urin [13] oder unterirdische Infrastruktur im Wurzelraum.
Die Auswirkungen des Klimawandels
Zu diesen Einschränkungen sind in den letzten Jahren weitere Stressfaktoren durch den Klimawandel und die Globalisierung hinzugekommen, die sich gemäss Erwartungen nur noch mehr akzentuieren werden. So wird z. B. erwartet, dass in den nächsten Jahren in allen europäischen Städten die Anzahl und die Intensität von Hitzewellen ansteigen wird und vermehrt lange Dürreperioden auftreten werden [14]. Gleichzeitig steigt aber auch das Risiko von Starkregen, Überschwemmungen, Stürmen [14] und es wird zu einer Verschiebung der saisonalen Niederschlagsmuster kommen [15].
Gebietsfremde Organismen
Auch biotische Faktoren sind im Wandel. So steigt z. B. die Anzahl der Neomyceten (Pilze, die mit oder ohne Absicht durch den Menschen in neue Gebiete verschleppt wurden) seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts exponentiell an [16]. Leider gehören viele davon zu den pflanzenpathogenen Echten Mehltauen [17], die Krankheiten auf Pflanzen verursachen können. Auch unter den Neuankömmlingen der Insekten gibt es Problemspezies. Darunter befindet sich z. B. der Asiatische Laubholzbockkäfer (Anoplophora glabripennis), die Platanennetzwanze (Corythucha ciliata) oder bereits seit längerem die Rosskastanien-Miniermotte (Cameraria ohridella).
Der Ausgang solcher neuen Interaktionen ist im Voraus oft schwer einzuschätzen. Beispiele, wie das Eschentriebsterben durch den asiatischen Schlauchpilz Hymenoscyphus fraxineus oder die Ulmenwelke, haben gezeigt, dass das Aufeinandertreffen von sich unbekannten Arten verheerende Folgen für die Baumgesundheit haben kann. Generell kann davon ausgegangen werden, dass es in den nächsten Jahren zu einer Zunahme solcher neuen Begegnungen kommen wird [18].
Abiotisch-biotische Wechselwirkungen
Oftmals sind die zu erwartenden Probleme auch eine Kombination von abiotischen und biotischen Faktoren. Veränderungen der Umweltbedingungen können auch für bereits koevolvierte Organismen zu neuen Interaktionsausgängen führen. Ein Beispiel sind die Pracht- und Borkenkäfer. Während diese in der Vergangenheit eine untergeordnete Rolle als Primärparasiten auf Bäumen hatten, scheinen sie heutzutage immer häufiger für das Absterben grosser Bestände verantwortlich zu sein und werden auch immer öfter auf Stadtbäumen registriert. Unsere Labordiagnosen bestätigen diese Entwicklung. Man nimmt dabei an, dass der Hauptgrund in den veränderten Niederschlagsmustern liegt, die vermehrt zu Trockenheitsstress in Bäumen führen. Als Folge wird der Baum und die pflanzeneigene Abwehr geschwächt [19], was einen Befall begünstigt.
Baumartenwahl mit Blick in die Zukunft
Der Klimawandel und die Globalisierung werden sowohl die abiotischen als auch die biotischen Bedingungen des urbanen Baumstandorts sowie deren Wechselwirkungen verändern. Angesichts einer Lebenserwartung von 80+ Jahren bei Bäumen braucht es für eine zukunftsorientierte Bewirtschaftung und Aufrechterhaltung des öffentlichen Grüns also Lösungsansätze auf allen Ebenen.
Einer der wichtigsten Lösungsansätze für die zukunftsorientierte Bewirtschaftung ist dabei die Baumartenwahl bei Neupflanzungen. Dieser Prozess kann oft überwältigend erscheinen, wenn man nach langem Abwägen der Vor- und Nachteile zur Erkenntnis kommt, dass es leider auch bei Bäumen keine eierlegenden Wollmilchsäue gibt. Wichtig bei der Baumartenwahl ist, sich eine klare Vorstellung von der gewünschten Funktion des Baumes, der Standortbedingungen und deren potenziellen Veränderungen zu machen und sich erst nachher mit der Baumartenwahl zu beschäftigen.
Bodenanalysen können helfen, die Standortbedingungen quantitativ zu erfassen und optional einen Substratwechsel (z. B. mit höherer Wasserhaltigkeit) anzustreben. Hat man sich diesen «Funktion-Standort-Überblick» einmal verschafft, gibt es eine Handvoll hervorragender Literatur, die bei der tatsächlichen Artenwahl hilft. In der Strassenbaumliste GALK, den Merkblättern aus dem Forschungsprojekt «Stadtgrün 2021» oder in dem Berner Pilotprojekt «Urban Green & Climate» sind verschiedenste Baumarten nach ihrer Zukunftsfähigkeit eingeteilt und vereinfachen diesen Prozess, der immer auch auf jahrelanger Baumpflegeerfahrung beruht (siehe QR-Codes).
Ein weiteres Hilfetool, das man für die Entscheidung bei der Baumartenwahl hinzuziehen kann, sind sogenannte Klimahüllen. Diese kartieren das Vorkommen der gängigsten Baumarten meist auf eine zweidimensionale Ebene (z. B. Jahrestemperatur und Jahresniederschlag) und prognostizieren dann, ob diese Verbreitung im Bereich der zu erwartenden klimatischen Bedingungen liegt. Leider gibt es solche Klimahüllen momentan nur für Waldstandorte in Deutschland [20]. Die Weiterentwicklung dieser Klimahüllen wäre aber auch für Stadtbäume von grossem Nutzen.
Während der Baumartenwahl mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden soll und dadurch bereits viele Probleme gelöst werden können, bevor sie entstehen, braucht es je nach Standort weitere Vorkehrungen für gesunde Stadtbäume. Es ist vordringlich, bei trockenen Standorten mit durchlässigen Böden bereits in der Planungsphase auf ausreichende Wasserversorgung zu achten. Hier bietet sich der Einbau von hochwertigem Baumsubstrat mit guter Wasserspeicherkapazität als Verbesserungsmöglichkeit an. Das Monitoring der Bodenfeuchtigkeit und der Saugspannungsverhältnisse ermöglicht eine bedarfsgerechte Baumbewässerung und eine ressourcenschonende Wassernutzung.
Starkregen, Überschwemmungen oder Stürme fordern zudem auch zukunftsorientierte Planung im Bereich der Stadtentwicklung (Schwammstadt). Hier wird die Aufgabe verfolgt, Regenwasser möglichst lokal aufzunehmen, zu speichern und lokal wieder abzugeben. In einzelnen Fällen können systematische Kronenreduktionsschnitte Sturmschäden vorbeugen. Elementarschadenversicherungen, wie wir sie bei unseren Privatkunden im urbanen Raum speziell für Bäume anbieten, garantieren eine finanzielle Absicherung bei Sturmschäden und sorgen dafür, dass das Geld später nicht bei der Planung und Pflege wieder schmerzhaft eingespart werden muss.
Lösungsansätze biotischer Bedrohungen
Was die Einwanderung und Einschleppung gebietsfremder Organismen anbelangt, so gehören zu den wohl effektivsten Methoden breit angelegte Monitoringprojekte und die Quarantäneregelungen für gefährliche Schaderreger. Individueller Pflanzenschutz wird zusätzlich nötig sein, um die hohe Mortalität von Stadtbäumen zu senken. Regelmässige Gesundheitskontrollen ermöglichen die Früherkennung von Vitalitätsschwächen, deren Erreger mit spezialisierter Krankheitsdiagnostik bestimmt und wo sinnvoll und möglich anschliessend zielführend therapiert werden können, was auch einer weiteren Ausbreitung und Masseninfektionen entgegenwirkt. Genaue Dokumentation und GPS-gestützte Erfassung der Krankheiten könnten sich als nützliche Methoden erweisen, um mehr über die Ausbreitung und Dynamik von Schaderregern zu erfahren.
Ausblick
Das Thema Stadtbäume im Klimawandel fordert ein Umdenken. Es gilt, tradierte Verhaltensmuster und Denkweisen in der Planung und Pflege von urbanen Baumbeständen kritisch zu hinterfragen. Wir sollten uns überlegen, ob in der weitgehend menschengemachten, urbanen Natur nicht auch vermehrt geeignete gebietsfremde Baumarten, die hitze- und trockenheitsresistent sind, eine Chance kriegen sollten – als Ergänzung zu einheimischen Baumarten, die auch zukünftig weiterbestehen werden.
Die vielerorts notwendige Befahrbarkeit von Baumscheiben infolge Platzmangels, insbesondere die Versiegelung durch Verdichtung von Mergelbelägen, stellt die Baumwurzeln vor grosse Probleme. Bei den Bodensubstraten muss der Fokus nebst der Optimierung der Wasserspeicherkapazität deshalb – und ganz besonders in befahrbaren Bereichen - unbedingt auf die verbesserte Strukturstabilität gegen Verdichtung gelegt werden.
Der Pflanzenschutz umfasst das Zusammenwirken von Planung, Monitoring und Baumpflege. Pflanzenschutz bedeutet viel mehr als die Anwendung präventiver und kurativer Therapien, wenn Bäume bereits krank sind. Wir müssen viel früher besser verstehen, was ein gesunder Baum ist, welche Organismen Stadtbäume krank machen, wann der richtige Bewässerungszeitpunkt gekommen ist und wie man den Effekt von Baumtherapien messen kann. Aus der Humanmedizin lernen wir, dass mehr Stress bei Menschen zwangsläufig höhere Gesundheitskosten verursacht. Auch die Erhaltung gesunder Stadtbäume wird in Zukunft mehr Geld kosten.|
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