Fast schleichend schreitet das Insektensterben voran. Studien zeigen, dass in den nächsten Jahrzehnten weltweit 40 % aller Insektenarten aussterben werden. In der Schweiz gelten 163 Insektenarten, darunter der Kreuzdorn-Widderbock und die gefleckte Schnarrschrecke, als ausgestorben. Unter dem Motto «Vom Reden zum Handeln» luden die Veranstalter BirdLife Schweiz und Insect Respect zum 2. Tag der Insekten Schweiz nach Aarau ein. Unterstützt wurde die Veranstaltung neben dem Kanton Aargau, dem Bundesamt für Umwelt und dem Aargauer Naturama auch von der Ernst Meier AG, Dürnten, sowie der Andermatt Biogarten AG, Grossdietwil.
Botschafterin des Events war die bekannte britische Forscherin und Umweltaktivistin Dr. Jane Goodall. An der Tagung nahmen über 300 Fachleute aus Wissenschaft, Naturschutz, der Grünen Branche und weiteren Wirtschaftszweigen sowie Vertreter aus der Politik teil. In den Reihen der bunt gemischten Teilnehmerinnen und Teilnehmer fanden sich überdies engagierte Privatpersonen. Die Organisatoren warteten mit einem spannenden Tagungsprogramm auf. Ergänzend zu den inspirierenden Fachreferaten vom Vormittag boten zahlreiche praxisorientierte Workshops und die abschliessende Podiumsdiskussion am Nachmittag ein ideale Gelegenheit, sich auszutauschen, zu diskutieren und gemeinsam Pläne für mehr Biodiversität zu schmieden.
Vielfalt unter Druck
«Die Krefelder Studie hat eingeschlagen wie eine Bombe», betonte der deutsche Zoologe, Evolutionsbiologe und Ökologe Prof. Dr. Josef Reichholf. Die 2017 veröffentlichten Ergebnisse sind erschreckend. Die in den vergangenen 27 Jahren untersuchten deutschen Schutzgebiete weisen einen Verlust von mehr als 75 % der Biomasse bei Fluginsekten auf. Flurbereinigung, Überdüngung und vernichtende Pflegemassnahmen wie das unnötige Mähen von Wiesen am Wald- oder Strassenrand seien nur einige der Ursachen. In den vergangenen 40 Jahren hat in Deutschland allein der Bestand des Wiesenfalters einen Rückgang von 73 % erfahren.
«Das Grosse Wiesenvögelchen oder der Laufkäfer sind Arten, die in der Schweiz durch die Zerstörung ihrer Lebensräume besonders gefährdet sind», erklärte Hannes Baur, Präsident der Entomologischen Gesellschaft in Bern. Das Grosse Wiesenvögelchen ist ein Schmetterling, der an nassen Standorten lebt und diese kaum verlässt. Durch die Trockenlegung der Moore verliert auch es seinen Lebensraum. Auenwälder, Alt- und Totholzbestände, lichte Wälder, strauchreiche Waldränder und Hecken – durch den Rückgang dieser bedeutenden Lebensräume für Insekten sind auch die Bestände des Laufkäfers gesunken. Als Verwerter und Zersetzer von Holz ist er für das Gleichgewicht des Ökosystems Wald unverzichtbar.
Miteinander Lösungen finden
Die Referenten waren sich einig: Nur gemeinsam sind wir stark genug, um dem dramatischen Insektensterben entgegenzuwirken. Die Tagungsteilnehmenden wurden motiviert, Kooperationen zu bilden und mit engagierten Gleichgesinnten die Biodiversität zu fördern. Jeder könne – und sei es noch so gering – etwas tun, um Grosses zu bewirken. Für den Unternehmer gelte es, das bisherige Geschäftsmodell zu überdenken. Hobbygärtnerinnen und -gärtner sind aufgerufen, mit einem naturnah gestalteten Gartenbereich insektenfreundlichen Lebensraum zu schaffen. Die Überzeugungsarbeit, die es im Beratungsgespräch zu leisten gelte, sei mitunter sehr schwierig und gleiche einem Spiessrutenlauf, berichtete Erwin Meier-Honegger, Geschäftsführer der Ernst Meier AG, Dürnten. «Die Ansprüche unserer Kundinnen und Kunden driften zum Teil sehr weit auseinander», so der Unternehmer. Auf der einen Seite gibt es Kunden, die den eigenen Garten insektenfreundlich und naturnah gestalten und auf den Einsatz von Pflanzenschutzmittel verzichten möchten. Andererseits scheinen sich manche Kundinnen und Kunden über den Rückgang der scheinbar lästigen Krabbeltiere beinahe zu freuen. «Wir müssen Mut haben und uns für das einsetzen, wofür wir stehen», betont Meier-Honegger. Eine weichgespülte Beratung für mehr Umsatz sei der falsche Weg. Es gelte, die Kundschaft zu sensibilisieren und das eigene Tun stetig zu überdenken. «Wir haben uns auf den Weg gemacht und in unserem Unternehmen die ersten Schritte eingeläutet», freut sich der Geschäftsführer. Für 2020 sind die ersten Projekte bereits aufgegleist. So sollen beispielsweise Pflanzenschutzmittel nicht mehr in Selbstbedienung verfügbar sein. Das Sortiment im Segment Gartenbeleuchtung – gerade für Insekten und viele nachtaktive Tiere stellt künstliches Licht eine erhebliche Gefahrenquelle dar – wird bei Meier zudem überdacht.
Neue Allianz für mehr Biodiversität
Von einer erfolgreichen Kooperation für den Insektenschutz im AVPN-Projekt Plaine de l’Orbe berichtete François Turrian, stellvertretender Geschäftsführer von BirdLife Schweiz und Leiter der Geschäftsstelle Romandie. Die Alliance Vaudoise pour la nature (AVPN) ist ein Zusammenschluss von vier NGOs. In der Orbe-Ebene südlich des Neuenburgersees, in der Naturflächen rar geworden sind und die Biodiversität stark abgenommen hat, will das Projekt die noch vorhandene Artenvielfalt bewahren und stärken. So wurden bereits 632 Bäume und Sträucher gepflanzt sowie 478 Meter Hecken und eine Blumenwiese angelegt. Zudem wurden von der AVPN zwei Bachrenaturierungen angestossen sowie drei Projekte für die Gestaltung von drei neuen Teichen finanziert.
Gütesiegel «Insect Respect»
Einen aussergewöhnlichen Weg hat Dr. Hans Dietrich Reckhaus, Geschäftsführer der Reckhaus AG in Bielefeld (D), eingeschlagen. Er leitet ein Unternehmen, das seit über 60 Jahren auf die Bekämpfung von Insekten in Innenräumen spezialisiert ist, und hat dort einen radikalen Unternehmenswandel bewirkt. Reckhaus ist Initiator des neuen Produktlabels «Insect Respect». In Zusammenarbeit mit Biologen von Arnal, Büro für Natur und Landwirtschaft AG, wurde erstmalig im Detail berechnet, wie Bekämpfungsmittel die Insektenpopulation beeinträchtigen. Daraus wurde sodann ein Modell abgeleitet, um diesen Einfluss über Ausgleichsflächen zu kompensieren. «Dieses Ausgleichsmodell dient als Basis für ‹Insect Respect›, dem weltweit ersten Gütesiegel für Insektenschutzmittel mit Ausgleichsflächen.»
Eine pestizidfreie Gemeinde
«Wir müssen den Mut haben, Nein zu Pestiziden zu sagen», betonte Ulrich Veith. Der Bürgermeister der Gemeinde Mals (IT) weiss wovon er spricht. Denn die zweitgrössten Gemeinde des Südtirols, die etwas über 5000 Bürgerinnen und Bürger zählt, hat den hürdenreichen Weg zur pestizidfreien Gemeinde beschritten. «Ein eisiger Wind blies uns seitens des Bauernbundes entgegen, denn dort befürchtete man, dass auch andere Gemeinden den Einsatz von Pestiziden infrage stellen könnten», berichtet der Bürgermeister. Das kleine Dorf kämpfte gegen eine mächtige Lobby aus Landesregierung, Bauernbund, chemischer Industrie und Medien.
Im September 2014 sprachen sich die Stimmberechtigten von Mals mit einem Ja-Stimmenanteil von 76 %, bei einer Wahlbeteiligung von 70 %, als erste Gemeinde in Europa für ein Verbot von Pestiziden aus. «Es war ein wertvoller Prozess, der mir mehr zurückgab, als dass ich investiert habe», resümiert Veith. Es brauche Vertrauen, die Fähigkeit, Dinge zu hinterfragen, sowie eine mutige Gemeinschaft, um Dinge zum Wohl von allen zu verändern. Der Bürgermeister ermutigte die Schweizer Bürgerinnen und Bürger, sich von der Bewegung anstecken zu lassen, denn in der Schweiz stünden 2020 mit den Abstimmungen «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Ernährung» zwei bedeutende Abstimmungen im Kampf gegen den Einsatz von Pestiziden an. |
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