Die Wiederöffnung nach dem am 16. März per Notrecht verordneten Lockdown ist dank wirksamen, in einem Kraftakt in kurzer Zeit eingeführten Schutzkonzepten geglückt (siehe Aktuellmeldung).Die Branche blieb, obwohl viele Mitarbeitende in Kurzarbeit geschickt werden mussten, nicht untätig im Lockdown. Die noch verfügbaren Kräfte wurden gebündelt. Eine steile Lernkurve wurde absolviert, indem in kurzer Zeit neue Online-Shops geschaffen, Drive-through für den Setzlingsverkauf eröffnet, Liefer- und Abholservices auf die Beine gestellt wurden. Bilder der in Massen kompostierten Frühjahrspflanzen bleiben in den Köpfen hängen. Ebenso die Meldungen über die an Spitäler und Altersheime verschenkten Pflanzen, die der Branche viel Sympathie eintrugen.
Solidarität gab es allerorten, auch innerhalb der Grünen Branche. Garten- und Landschafsbaubetriebe schenkten ihrer Stammkundschaft zu Ostern eine Kiste mit Frühlingsflor und bekundeten damit Solidarität mit den Berufskollegen, denen es im Lockdown schlechter ging als jenen, deren Betrieb unter zwar schwierigen Bedingungen doch weiterlief. Immerhin blieb ja die vorübergehend drohende Baustellenschliessung aus. Die Gemeinde Münsingen nahm Gartenpflanzen Daepp Hunderte Frühjahrspflanzen ab und verschenkte sie an die Bevölkerung als Zeichen der Zuversicht und als Trostspender. Dies ist eine der Geschichten, die ebenfalls zu dieser Krise gehören, und die unterstreicht, dass Blumen und Zierpflanzen zwar nicht existenziell bedeutend sein mögen, sprich systemrelevant, es aber in einem ganz anderen Sinn als Nahrung für die Seele sehr wohl sind. Die Krise befeuert diese Binsenweisheit aufs Neue. Blumenläden, Gärtnereien und Gartencenter sind Wohlfühlorte, darüber kann auch der Anblick von Schutzmasken tragenden Mitarbeitenden und Kundinnen und Kunden nicht hinwegtäuschen.
So verhängnisvoll das Timing der Pandemie zu Beginn des Frühjahrs war, so gross ist die Erleichterung, dass die Lockerung gerade noch rechtzeitig kam, damit nicht nach dem Ausfall des Frühjahrsgeschäftes auch noch die Hochsaison für Beet- und Balkonpflanzen zunichte gemacht wird. Die hochgefahrenen alternativen Kanäle konnten den Ausfall des Frühjahrsgeschäftes lediglich abfedern. Die Umsatzverluste durch die Massenvernichtung können nicht wettgemacht werden. Bilanziert wird jedoch erst am Ende der Saison. Zudem fordert der Mehraufwand für die Schutzkonzepte und die Pflege der Pflanzenüberstände die Mitarbeitenden zusätzlich und mindert den Ertrag. Auch in den Nachbarländern führte diese Abhängigkeit von der Saison dazu, dass Blumenläden und Gartencenter als Erste wieder öffnen durften. Hierzulande wurde die Lockerung durch das Lobbying des Unternehmerverbandes JardinSuisse vorangetrieben. Geerntet wurden die Früchte des 2015 eingeführten Jardin Politique. Unterstützung kam vom Gewerbe- und Bauernverband. Auch das Engagement einzelner Mitglieder und ihrer Beziehungen in Bundesbern sowie die Mobilisierung der Medien zeigten Wirkung. So erteilen denn auch viele Betriebsinhaber dem Unternehmerverband gute Noten für die Begleitung in der Krise, aus der die Grüne Branche, diese Prognose sei gewagt, geeint hervorgehen wird. Die Zusammenarbeit wurde gestärkt, das Bewusstsein, in einem Boot zu sitzen, geschärft. Das Paradoxe: Der Zusammenhalt wächst in Zeiten des Abstandhaltens. – Dies der erste positive Befund auf dem Weg aus der Krise.
Fragiles Frühjahrsgeschäft
Nicht aus dem Blick geraten sollte, dass das Frühjahrsgeschäft bereits in den Vorjahren immer fragiler geworden ist, bedingt durch die Wetterkapriolen, die im Zusammenhang mit den klimatischen Veränderungen stehen. Ausgerechnet dieser von Meteo Schweiz als «spanischer Frühling» bezeichnete Saisonstart hätte angetrieben durch das milde Wetter ausserordentliche Umsätze gebracht. Der Onlinehandel kam denn zwischenzeitlich auch zum Erliegen, weil die Menge mit der bestehenden Infrastruktur und Bestandsverwaltung nicht zu bewältigen war. Allerdings war die über sechs Wochen lang anhaltende Trockenheit auch ein Warnzeichen. Um Sortimentsanpassungen und neue Konzepte wird man aufgrund der Klimakrise nach dieser Pandemiekrise nicht herumkommen. Das rasche rationale Handeln, mit dem in der Krise reagiert wurde, sollte diesbezüglich Mut machen, für Veränderungen in der Zeit danach.
Fundamentale Unsicherheiten wirken als Verstärker für bestehende Trends
Wenn die These stimmt, und einiges spricht dafür, dass Krisen stets als Verstärker des Vorhandenen wirken, so ist die Grüne Branche in Zukunft gut aufgestellt. Wer hätte gedacht, dass der viel zitierte Trend des Gartens als Rückzugsort jemals eine derart ausgeprägte Bedeutung erlangen wird. Gärten sind Inseln der Normalität in dieser Zeit, in der die Menschen in Selbstisolation zu Hause bleiben sollen. Der eigene Garten ist erneut zu einem Signet der Privilegierten geworden. Ihn ersetzen Balkone, deren Bedeutung als erweiterter Wohnraum in der Pandemie-krise besonders deutlich hervortritt. «Der Balkon ist ein Schlüsselelement für die Stadt von morgen», wird Tom Avermaete, Architekturprofessor an der ETH Zürich, in einem spannenden Beitrag über Balkone in Zeiten der Pandemie in «Der Bund» zitiert. Das Gärtnern ohne Garten, das Urban Gardening, und die Selbstversorgung mit Lebensmitteln waren schon vor der Pandemie ein Megatrend. Die langen Wartelisten für Familiengärten, der Run auf Setzlinge und Saatgut sind erste Anzeichen für eine noch stärkere Welle. Der derzeitige Boom der Hofläden ist ein Indiz dafür, dass die Kunden vermehrt regionale Geschäfte berücksichtigen werden. Die Welle schwappt auch auf andere Bereiche über. Nicht zufällig sind florale Muster das Thema zur Stunde in der Mode und wird mit dschungelartig begrünten Wohnungen als Fotomotiv in der Werbung die Sehnsucht vieler Menschen bedient.
Die Bedeutung des Gartens als Gegenpol zur digitalen Welt gilt seit Langem als Trend. So wichtig die Digitalisierung jetzt ist, um vieles am Laufen zu halten, so sehr wächst auch der Verdruss angesichts der Vielzahl der Videokonferenzen und der ständigen Präsenz an den Bildschirmen. Die Pandemie bescherte dem Online-handel zwar einen Boom, die Kunden werden danach jedoch vor allem wieder in realen Läden, bei echten Menschen kaufen wollen. Aufgrund ihrer Erlebnisvielfalt werden Gärtnereien und Gartencenter noch mehr als Wohlfühlorte wahrgenommen. Der persönliche Kundenkontakt wird noch wertvoller sein.
Die Wahrnehmung des Garten als Gegentrend zur schnelllebigen Zeit hat sich aus naheliegendem Grund abgeschwächt. Die abrupt im Lockdown erlebte Entschleunigung weckt vielmehr bei vielen die Lust, aktiv zu werden. Gut möglich, dass das Bedürfnis, selbst im Garten Hand anzulegen und allgemein Dinge zu fertigen, wächst. Gärtnerinnen und Gärtner wären dann in Zukunft vermehrt auch als Coaches für fachliche Unterstützung gefragt.
Systemrelevante Dienstleister für die Umsetzung von Klimaschutzkonzepten
Eine Spaziergangkultur lebt gerade auf. Viele entdecken die Natur in ihrer eigenen Umgebung bei ihren «Abstandspaziergängen». Selbst hart gesottene Technikfreaks posten Fotos von Blumen auf Facebook. Dieser zum jetzigen Zeitpunkt der eigenen Verletzlichkeit gewonnene, für viele neue Zugang zur Natur wird nachwirken. Wird die eigene Schutzbedürftigkeit gar die Einsicht der Notwendigkeit von Klimaschutzmassnahmen befördern? Besonders hoffnungsfrohe Beobachterinnen und Beobachter sehen hierin eine Parallelität. Im Kontext des Klimawandels ist die Grüne Branche jedenfalls als systemrelevante Dienstleisterin für die Umsetzung von Klimaschutzkonzepten im urbanen Raum gefragt. Verdichtung, mangelnde Grünflächen und Sommerhitze fordern die Städte. Begrünung muss den urbanen Raum durchdringen: von der Gebäudehülle, vom Garten über den Quartier- bis zum Stadtpark. Für ökologisch nachhaltiger gestaltete Städte durch die Anlage von neuen Parks auch auf ungewohnten Orten wie dem Dach macht sich das renommierte Basler Archtitektenduo Jacques Herzog und Pierre de Meuron stark. Das in «Der Bund» erschienene Interview trägt das Zitat im Titel: «Wir sollen die Landschaft in die Stadt bringen». Die Architekten heben darin insbesondere auch die Bedeutung der Balkone hervor.
Die Zukunft ist durch die befürchtete zweite Welle ungewiss. Das Virus wird bleiben. Wie sich zeigt, werden die Schutzmassnahmen aber gut eingehalten. Angst vor einer starken Rezession und hoher Arbeitslosigkeit sowie eine Konsumentenstimmung auf dem Tiefststand sind bei Weitem keine harmlose Gemengelage. Doch nichts könnte mehr Schaden anrichten, als wenn wir den Ausnahmezustand als Normalzustand verinnerlichen. Der Blick sollte sich wieder nach vorne richten. |
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