In einer Zeit, in der sich unsere Beziehung zu Natur und Umwelt durch Phänomene wie den Klimawandel oder die rasante Verstädterung kontinuierlich ändert und weiterentwickelt, stellt sich natürlich die Frage: Was kann und soll ein Garten sein? Ist er ein Kunstwerk? Ein Gemüsegarten zu unserer Versorgung? Ein wohltuender Therapieraum? Oder eher ein Ort für Naturnähe und Ökologie am Haus und vor der Wohnung? Sollte und kann ein Garten idealerweise nicht zugleich schön, praktisch, anregend, kraftspendend, besänftigend, innovativ, wasser- und energiesparend sein – und zu alldem Harmonie bieten, uns Genuss, Wohlbefinden und Glück vermitteln? Natürlich kann es auf all diese Fragen kaum eine allgemeingültige Antwort geben – entsprechend breit war die Palette der sommerlichen Gärten und Inszenierungen auch diesmal an der Loire – einfach bis komplex, dezent bis spektakulär, naturnah bis architektonisch, aber durchweg mit auffallend-üppigen Pflanzungen. Und bot so für jeden etwas – man musste sich nur entscheiden und wählen, welche Art von Garten bei der breiten Vielfalt interessierte. Eine ganze Reihe der zwei Dutzend Gärten des Jahres waren wieder innovativ und sehenswert.
Lebendige Batik
Der Begriff «Batik» kommt aus Java, bedeutet dort so viel wie «gemustert, geblümt, bemalt, gesprenkelt» und leitet sich ab von «mbatlik» = mit Wachs schreiben. Beim Batiken werden Stoffe mithilfe von flüssigem Wachs gemustert und dann eingefärbt – ein Handwerk, das sich zur Kunst entwickelt hat. In dem Garten zeigte sich das in Asien allgemein Glück verheissende Wolkenmotiv «Mega Mendung» attraktiv, ja fast spektakulär. Wolken gelten dort als ein Symbol für Yin und Yang, verbinden Luft und Wasser, Himmel und Erde, auf denen Götter und Göttinnen wie auf Schiffen zwischen dem Himmel und der Erde hin- und herreisen. Vor dem Hintergrund einer bunt mit Recyclingstoffen überzogenen Wand schwebten luftig-leichte Pflanzschalen dazu wie kleine Wolken um einen mannshohen Kegelstumpf im Zentrum des Gartens.
Lim In Chong (Inch), Landschaftsarchitekt, Malaysia
Das Bankett
Ein Bankett steht für geselliges Miteinander, erweckt vielfach Assoziationen mit festlichem und üppigem Schmausen – zumal nach der Distanzierung und Isolierung in Corona-Zeiten. Hier präsentierte sich der ideale Garten um diverse geschwungene Hochbeete und Pflanzentische, auf denen insgesamt über 100 Obstsorten und Pflanzen mit essbaren Blättern und Blüten wuchsen – mit süssen, salzigen, sauren, bitteren und würzigen Aromen. Dazwischen fanden sich auf den Beeten und Tischen diverse Rezepte von Sterneköchen, die den Gaumen der Besucher in neue, unbekannte Welten entführen und so zugleich die Menschen zusammenbringen wollten – um miteinander zu parlieren und dabei auch Neues zu entdecken.
Format Engineers – Camille Chevrier, Architekturingenieurin, Florian Dominicy, Landschaftsgärtner/Baumschulist, Pauline Dominicy, Produzentin von Kräutern und essbaren Blumen, Frankreich
Blau 47°
Mit seinem Motto nahm der Garten darauf Bezug, dass er auf 47° nördlicher Breite angelegt und wahrlich eine Hymne an die Farbe Blau war. In seiner Vielfalt von Blautönen – von Kobaltblau über Himmelblau bis hin zu Petrol und Türkis – wollte er ein Symbol für Lebensfreude und Optimismus sein. Zwischen mannshohen Wänden aus leichten Baustahlprofilen und -gittern, teils bewachsen mit Kletterpflanzen und teils überzogen mit Folien aus Plastiktaschen, die mit Wasser gefüllt waren, schlenderten die Besucher über eine Folge unterschiedlicher Rondelle durch den Garten und erlebten so Schritt für Schritt wechselnde Ein- und Ausblicke. So konnten sie aus den blauen Farbtupfern der Pflanzen und des Wassers sowie der Bodenbeläge ein Bild kontinuierlich wechselnder Farbpixel generieren.
Nicolas Triboulot, Künstler/Designer, Arnaud Mermet-Gerlat, Landschaftsgestalter, Frankreich
Spiel der Wechselbilder
Die Natur und der Mensch stehen seit jeher in gegenseitiger Abhängigkeit. Dies mit neuen Augen zu sehen und so das mitunter aus den Fugen geratene Gleichgewicht auf der Erde neu zu erlangen und zu zeigen, war das Anliegen der Gestalter dieses Gartens. Sie hatten dazu kreisrunde Wasserflächen angelegt und um diese herum dreieckige Spiegelsäulen in der Art von Totems aufgestellt. Am Eingang zum Garten standen zwei Spiegelreihen einander gegenüber und spiegelten den Besuchern deren Bild. Dahinter führte ein Rundweg um ein rundes Wasserbecken im Zentrum, ebenfalls von Spiegeltotems gerahmt. Sie spiegelten fragmentarisch die Besucher, zeigten sie mit den Pflanzen der Umgebung in wechselnden Bildern und führten so fast zwangsläufig zu Fragen wie: Wo endet der Mensch? Wo beginnt die Natur?
Rios – Jason Shinoda, Elisa Read Pappaterra, Stephanie Lin, Landschaftsarchitekten, USA
Paradoxon
Bekanntlich geht der Begriff «Garten» zurück auf das indoeuropäische Wort «gortos», was «umzäunt» bedeutet, während das Wort «ideal» von lateinisch «idealis» abstammt und «eine Idee und nicht der Realität entsprechend» bezeichnet. So hat der «ideale Garten» keine feste Form, sondern ist eher frei – und nicht wenige meinen daher, es gäbe ebenso viele ideale Gärten wie Personen, in deren Köpfen und Träumen diese entstehen. Dieser Idee und dem Traum von Freiheit verdankte dieser Garten seine Form. Dazu stand an seinem Zugang eine meterhohe Wand, in der unterschiedlich grosse Türen scheinbar in den Garten führten. Doch waren sie allesamt verschlossen und schienen allein durch ihre Schlüssellöcher einen Blick in den Garten zu bieten. Doch selbst das war nicht möglich: Wer einen Blick durch sie tat, entdeckte nur den Begriff «Infinity» und überliess es allein der Fantasie, wie der Garten wohl aussehen würde – ein feiner Spass zur Erheiterung des Publikums.
Sowatorini Landschaft – Sebastian Sowa, Gianluca Torini, Landschaftsarchitekten, Ayla Kutas, Landschaftsarchitektin, mit Philipp Appel, Felix Dalisdas, Doreen Heuer, Agnes Leitling, Studierende, Deutschland
Der Garten der Nymphen
Für viele Menschen ist der ideale Garten ein Ort der biologischen Vielfalt. Dort gedeiht neben der Flora auch die Fauna – ob nun gross oder mikroskopisch klein. Nicht zuletzt Nymphen, also Insekten, die beim Häuten eine Metamorphose erfahren, aber auch mythologische Gottheiten sind, Naturkräfte personifizieren und oft dabei mit Bergen, dem Wasser und den Wäldern verbunden sind. Vom Zugang aus gesehen hinter einem Blumenhügel verborgen, gab es einen schmalen Pfad aus Holzplanken zu entdecken, der um einen Teich herum und zu einem nestartigen Pavillon aus Holzlatten führte. Dieser erhob sich leicht über den Teich und die Blüten ringsum und eröffnete von dort den Blick auf Amphibien, Libellen, Schmetterlinge und Reptilien in dem kleinen Garten Eden.
Atelier Biomes – Ambroise Jeanvoine, Johan Picorit, Landschaftsgestalter, Frankreich
Der ideale Garten
Das Ambiente und Flair des Gartens Majorelle bot sich gleich nebenan in dem üppig bepflanzten Garten. Kein Wunder, denn die Gestalterin, geboren und aufgewachsen in Casablanca, der Stadt von Majorelle, war mit einer Greencard geladen, ihren Traum eines Gartens zu realisieren. Und hatte dazu einen Garten kreiert, wie sie ihn aus ihrer Kindheit in Erinnerung hatte: mit Altmaterial wie Konservendosen oder Plastikflaschen, mit Holzplanken, Stahlrohren und Strohmatten, kombiniert mit Wasser und vielerlei Pflanzen. Einen Garten voller Kontraste zwischen Sonne und Schatten, trockenem Boden und plätscherndem Wasser, zwischen der Wüstenwelt und Weinreben, mit einer bunten Mischung aus Obst, Gemüse und Blumen – die sinnlich-üppige Welt eines Paradiesgartens im Kleinen.
Jacqueline Osty, Landschaftsgestalterin, Marokko/Frankreich
Granatapfel
«Olla» ist das spanische Wort für «Topf». Das sind unglasierte Krüge aus gebranntem Ton, die zum Bewässern von Gärten und Plantagen im Boden eingegraben werden und den Kulturpflanzen in Trockenzeiten als Wasserspeicher dienen. Nicht teuer, denn damit spart man 50 bis 70 % Wasser gegenüber der üblichen Bewässerung, da nichts verdunstet und der poröse Ton das Wasser nur langsam an die Pflanzen abgibt. Grosse Ollas, in der Regel unter der Erde und daher nicht zu sehen, tauchten hier wie riesige Blumen inmitten des Gartens auf und entfalteten so scheinbar ihre Blütenblätter, um das Regenwasser aufzufangen. Die Form der Riesenollas und ihre orangerote Farbe erinnerten an Früchte des Granatapfelbaums, die aufplatzen, sobald sie reif sind und hier und da im Garten als rote Kugeln standen, während die luftigen Propeller aus Baustahl, überzogen mit rotem Kunststoff, poetisch an dessen Blüten erinnerten.
Archigroup – Aymeric Dufour, Landschaftsgestalter, Thibaut Flavigny, Architekt, Frankreich
In einem Garten der Illusionen
In der Philosophie des Taoismus steht der Ring, der ohne Anfang und Ende ist, für das Universum, die Natur, die Ewigkeit. Während es in unserer schnelllebigen und komplexen Welt leicht ist, sich zu verlieren, bringt und führt uns der ideale Garten zu Einfachheit, Gelassenheit und Unverfälschtheit zurück. Zu dem Bild gehören etwa Blumen und Pflanzen, Kühle und Schatten sowie das Rascheln der Blätter. Ebenso aber auch ein Berg und der Himmel. Genau das zeigte das Trio, das hier westliche und östliche Ideen im Garten verschmolz – in Form eines Rondells, das um Bambus im Zentrum wie ein schützender Käfig angelegt war. Mit vertikalen Seilen scheinbar abgeschlossen, taten sich auf den zweiten Blick doch zwei Zugänge in das Innere des Gartens auf, symbolisch gefasst von einem kleinen Berg in Form einer niedrigen, begehbaren Rampe.
Illimité Architectes – Xiangcheng Liu, Architekt/Stadtplaner, Yiyang Zhang, Landschaftsarchitektin, Xiaoxi Guo, Architektin, Fankreich/China
Der pflanzliche Kokon
Die Natur gibt es länger als uns Menschen. Daher stehen wir allesamt schon aus purem Eigeninteresse in der Pflicht, sorgsam mit ihr umzugehen und sie nicht zu zerstören. Der Idee folgend, dass ein Garten ein Refugium für die Natur sein könnte, war hier ein Kokon aus weissen Schnüren, eingehängt in eine kuppelförmige Schale, über die Parzelle gesponnen. Darunter sollten Bäume und Pflanzen vor dem Zugriff des Menschen geschützt sich entwickeln – Symbol für die Diversität und Resilienz der Natur. Zur Anpassung an die Klimaerwärmung sorgte ein Teich für Frische in dem Schutzraum. Und ein schattiger Weg um diesen herum, an dem Bänke zum Verweilen einluden, war wie geschaffen zum Betrachten und zur Kontemplation.
Gaël Lefebre, Marvin Demaude, Studenten, Belgien
Alle Gärten waren wie gewohnt bei Tag zu sehen und zugänglich, einige zudem als «Jardins nocturnes», also Gärten bei Nacht. Das Angebot gibt es seit einigen Jahren, war aber diesmal sichtbar abgespeckt – wobei zu hoffen ist, dass die «Nachtgärten» wieder die Bedeutung gewinnen, die ihnen in den ersten Jahren zugebilligt wurde. In den Dauergärten in den «Prés du Goualoup» gab es neu den «Mediterranen Garten», der – wie viele der Gärten dort – konventionell und kaum innovativ gestaltet war. Sehr zu loben hingegen ist, dass das «Vallée des Brumes» oder «Nebeltal», restauriert von Patrick Blanc, wieder für Besucher offen und zugänglich war – eine Wohltat gerade in diesem Sommer. Hinzu kamen punktuell kleine Änderungen wie neue Wegeführungen oder eine lauschige Gartenterrasse am Café in der Ferme.
Als Novität und besonderes Bonbon gibt es seit dem Frühling zudem das Landhotel «Le Bois de Chaumont» samt neuem Luxusrestaurant «Le Grand Chaume», das die Domaine nicht weit entfernt von ihrem Areal durch den Um- und Ausbau eines alten Hofes geschaffen hat und betreibt. Last, but not least war auch bei den künstlerischen Angeboten und Interventionen in der Domaine manch Neues zu entdecken, was deren Anspruch als «Zentrum für Kunst und Natur» freilich gerecht wird. Man darf gespannt sein, was sich zur nächsten Saison ändern wird. «Dauerhafte Gärten» ist das Motto für die Festivalgärten 2023 – ein recht ungewöhnliches Thema gerade für temporäre Gärten.|
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