Die gestalterischen Konsequenzen selbst von kleinen Eingriffen werden oft unterschätzt. Einige ganz gewöhnliche Zementplatten, die z. B. als Weg verwendet werden, können die Wahrnehmung und das Erleben eines Gartens komplett verändern. Der Verlauf setzt Anfangs- und Endpunkt, bestimmt Blickrichtungen und Erlebnisfolge. Er hält Nachbarn auf Distanz, führt an Besonderheiten, beispielsweise einem Wasserbecken, vorbei, kann überraschende Ein- und Ausblicke ermöglichen. Er lässt den Blick bei Richtungsänderungen über ein Staudenbeet schweifen und animiert dazu, in einem gestreckten Abschnitt ein Solitärgehölz in den Fokus zu nehmen, um gleichzeitig den Komposthaufen links liegen zu lassen. Einige neu gelegte Gartenplatten können überraschend tief in das Erleben und die Gestaltung eines Gartens eingreifen.
Rückzug auf Fakten
Viele Praktiker stehen gestalterischen Argumenten kritisch oder gar ablehnend gegenüber. In erster Linie zählen messbare Eigenschaften wie Preis, Belastbarkeit und Dauerhaftigkeit. Ein Weg hat unterhaltsarm, rutschsicher, kinderwagen- und rollstuhlgängig zu sein und ohne Umwege von A nach B zu führen.
Dieser Rückzug auf Fakten und handfeste Argumente ist nicht weiter erstaunlich. Zu unübersichtlich und widersprüchlich sind die Vorbilder vermeintlich guter Gestaltung. Grossformatige Bildbände füllen in den Buchhandlungen ganze Regale. Meistens zeigen sie gefällig arrangierte und gut fotografierte Versatzstücke von Renaissance-, Zen- oder Bauerngärten. Typische Stilelemente mit hohem Wiedererkennungswert werden dabei beliebig kombiniert und als gut gestaltete Beispiele präsentiert. Themenhefte und Sonderbeilagen postulieren abwechselnd Kargheit oder Opulenz, Reduktion oder Vielfalt, beschwören Genius Loci, Qi, Sinnlichkeit, Echtheit oder Natürlichkeit als Voraussetzung einer guten Gestaltung. Als verlässliche Richtschnur für das eigene gestalterische Handeln taugen weder Bildband noch Themenheft.
Gestaltung ist nicht Geschmackssache Die Schlussfolgerung, dass Gestaltung Geschmacksache sei, ist naheliegend, aber nur ein Stück weit richtig. Neben der Vielfalt persönlicher Vorlieben wirken allgemein gültige Gestaltungsprinzipien. Verankert im Menschsein an sich oder vermittelt durch die gemeinsame kulturelle Prägung stellen sie Gestaltern gültige und wirkungsvolle Instrumente jenseits individueller Geschmacksempfindungen und kurzfristiger Modeströmungen zur Verfügung.
Gestalten ist Handwerk
Dieses Gestaltungshandwerk setzt ein solides Wissen über Raumbildung, Wegführung, Proportion, Rhythmus, Farbe und Form, Organisation und Kontrast ein. Es liefert nachvollziehbare Kriterien, wie Pflanzen, Erde, Steine, Beton, Holz und Wasser zu Orten voller Poesie und Atmosphäre komponiert werden können. So entstehen gebrauchstaugliche Gärten und Anlagen, in denen Nutzungen sinnvoll organisiert sind, wo Raumabfolgen überraschen, anregen oder Ruhe verströmen. Gebaut werden Wege, die das Wesen eines Ortes sichtbar machen, die führen und verführen, die einladen und locken, die präsentieren oder Geheimnisse bewahren. Hier findet man Orte, die in der prallen Mittagssonne brüten oder nur vom Abendlicht leicht gestreift werden, Sitzplätze, die im hellen oder dunkeln, ruhigen oder flirrenden Baumschatten liegen.
Ich wünsche mir, dass vermehrt Baupraktiker den Mut haben, ihre hemdsärmlige, gestaltungsferne Position aufzugeben und sich in das reiche Feld der Gestaltung vorwagen. Denn nur in der Verbindung von Bau- und Gestaltungshandwerk können die wirklich guten Gärten entstehen.
Kursangebote 2015
Intensivkurs Entwerfen und Darstellen von Gärten und Anlagen: 2. Februar bis 6. Februar 2015
Intensivkurs Perspektivzeichnen für Gartenprojekte: 9. Febraur bis 13. Febraur 2015
Kursleitung: Beide Kurse werden geleitet von Martin Keller, Landschaftsarchitekt HTL, Kursleiter Gartengestaltung Verein Gestalterische Weiterbildung Zürich.
Informationen: Weitere Angaben zu über Kursinhalten, Ort und Anmeldung unter www.dranbleiben.ch -> Intensivkurse.og
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