Im Tätigkeitsfeld der Grünen Branche finden sich verschiedene Arbeiten, die unter die Verordnung über die Verhütung von Unfällen und Berufskrankheiten (VUV) Art.8 fallen. Eine davon ist das Arbeiten im steilen Gelände. Die Branchenlösung zur Arbeitssicherheit – auch JardinTOP genannt – hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt. Die entwickelte Lösung, verbindet Sicherheit und Mobilität miteinander: JAWA A16/1 – der temporäre Anschlagpunkt.
So schön es für die Bewohnerinnen und Bewohner auch ist, wenn ein Einfamilienhaus an einem Hang steht,so herausfordernd kann das für den Gärtner sein. Denn wenn er Wiesen, Büsche und Bäume in einem steilen Hang pflegen muss, ist das nicht ganz ungefährlich, birgt eine hohe Sturzgefahr und bedarf besonderer Massnahmen. Das Problem stellt sich auch bei Böschungen und beim Strassenunterhalt. JardinTOP hat nach einer praktikable Lösung für seine Mitglieder gesucht, damit die entsprechende Arbeiten auch in Zukunft qualitativ hochwertig und vor allem sicher durchgeführt werden können.
Mobile Lösung gesucht
Bisher waren GaLaBau-Betriebe darauf angewiesen, dass bei entsprechenden Aufträgen ein fixer Ankerpunkt vorhanden war. Für diesen sind die Grundeigentümer zuständig – sowohl für die Anschaffungs- und Installationskosten, als auch für die gesetzlich vorgeschriebene sachkundige Instandhaltung, was eine kostspielige Angelegenheit ist. Fehlen Ankerpunkte, mussten sich die Betriebe anders behelfen oder konnte im schlimmsten Fall die Arbeit gar nicht ausgeführt werden.
Die Lösung schien in einem mobilen System zu liegen. Erich Affentranger, Leiter Branchenlösung Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bei JardinSuisse, erklärt: «Es ist grundsätzlich das Anliegen von JardinTOP, mitgliederorientierte und im Arbeitsalltag sicher anwendbare Lösungen zu finden.» Dass dies gelungen ist, beweist die bestandene EG-Baumusterprüfung für den temporären Anschlagpunkt JAWA A16/1.
Entwicklung über zweieinhalb Jahre
Das Zertifikat steht am Ende einer zweieinhalbjährigen Entwicklungsarbeit, die JardinTOP gemeinsam mit Ernst Waser (Waser Forst AG, Beckenried) geleistet hat. Waser gilt als Experte im Bereich von Verankerungssystemen und lobt die Zusammenarbeit mit Heinz Hartmann (Leiter Bereich Berufsbildung bei JardinSuisse) und Erich Affentranger. Die drei Praktiker wurden unterstützt von Elias Imgrüth, Ingenieur und freischaffender Mitarbeiter der Waser Forst AG. «Imgrüth war verantwortlich für alle Berechnungen und hat auch die Zertifizierung mit uns vorbereitet», betont Waser.
V-förmiges Modell aus Chromstahl
Verschiedene Varianten wurden in stundenlangen Versuchen immer wieder getestet, Ergebnisse verworfen, Modelle weiterentwickelt. Das Resultat ist ein V-förmiger mobiler Anker aus hochwertigem Chromstahl, dessen vier Löcher pro Seite (zum Einschlagen der Ankerstäbe) mit aufgesetzten Ösen versehen sind. Die Ösen haben eine spezielle Aufgabe: Sie geben durch ihren Aufsatzwinkel den Einschlagwinkel für die 60 cm langen Ankerstäbe vor. Damit wird dafür gesorgt, dass der Anker nicht aus dem Boden herausgerissen werden kann – egal wie stark die Belastung ist – und somit die Sicherheit stets gewährleistet ist. Hartmann ist stolz auf das Endergebnis: «Mit diesem temporären Anschlagpunkt haben wir ein flexibel einsetzbares System für unsere Betriebe geschaffen, das einfach in der Handhabung ist und höchste Sicherheit bietet.»
Handhabung in der Praxis?
Laut Affentranger gibt es zwei Möglichkeiten der Sicherung über den temporären Anschlagpunkt. Für einen fixen Arbeitsplatz im steilen Gelände, bei dem der Bewegungsradius klein ist, reicht ein einziger Anschlagpunkt. An diesem kann man sich nach Vorschrift direkt sichern und erfüllt damit alle Anforderungen.
Ist der Arbeitsradius sehr gross – muss beispielsweise ein ganzer Hang gemäht werden – kommen zwei temporäre Anschlagpunkte zum Einsatz. Diese werden an der Böschungskrone des Hanges einander gegenüber platziert und mit einer sogenannten textilen Lifeline verbunden. Die ausführende Person ist gesichert und kann sich damit flexibel sowohl in der Breite als auch in der Höhe des Hanges bewegen.
In beiden Fällen wird bei der Installation vorgängig mit einem zum Set gehörenden Spannungsmesser getestet, wie viele Ankerstäbe in den Boden getrieben werden müssen (mindestens vier, maximal acht), da die Tragfähigkeit von den Bodeneigenschaften abhängig ist.
Mit diesem neuen System haben laut Affentranger die Betriebe auf jeder Baustelle das perfekte Hilfsmittel dabei, das die Mitarbeitenden vor Abstürzen sichert.
Ausbildung ab Herbst 2017
Der temporäre Anschlagpunkt JAWA, dessen Name übrigens eine Zusammensetzung aus JA(rdinSuisse) und WA(ser Forst AG) ist, wird ab Herbst über Murer in Kulmerau vertrieben, einem Ausrüster für Arbeitskletterer. Hartmann ist überzeugt, den perfekten Partner gefunden zu haben: «Es war von Anfang an klar, dass JardinTOP den Vertrieb nicht selbst übernehmen will. Murer ist ein Profi auf dem Gebiet und kann auch entsprechende Beratungsarbeit leisten.» JardinTOP wird im Herbst / Winter damit beginnen, eine eintägige Ausbildung für das Arbeiten im steilen Gelände und den Einsatz des temporären Anschlagpunktes anzubieten.
JardinTOP digital
Auch auf einer anderen Ebene treibt der Verband die Weiterentwicklung von Arbeitssicherheit voran. Kopas (Kontaktperson für Arbeitssicherheit) in einem Betrieb zu sein, ist eine nicht immer leichte Aufgabe. Nicht nur, dass die Kopas im Arbeitsumfeld oft auf taube Ohren stösst, sondern auch der administrative Aufwand, die Flut an Papieren, die gelesen, geschrieben, ausgefüllt, weitergeleitet und abgelegt werden wollen, machen den Job nicht gerade attraktiv. Deshalb lancierte JardinTOP eine Neuerung: digital statt analog. JardinTOP sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz in den Betrieben gewährleisten – und zwar so effektiv wie möglich. Affentranger hatte es sich zum Ziel gemacht, eine digitale Version der Branchenlösung zu entwickeln, die mehr kann, als bloss Dokumente zu verwalten. Das Ergebnis: eine Software, die den Arbeitsprozess spiegelt und alle Beteiligten interaktiv einbezieht. Affentranger ist überzeugt, dass mit dem Tool sämtliche sicherheitsrelevanten Fragen im Betrieb geplant, umgesetzt und dokumentiert werden können.
So funktioniert es
Loggt sich die Kopas auf JardinTOP ein, gelangt sie zunächst zu ihrer Startseite. Dort finden sich die Kenndaten des Betriebes, Mitarbeitende können verwaltet oder Kontoeinstellungen angepasst werden. Zudem sind die zehn Kapitel von «1. Sicherheitsleitbild, Sicherheitsziele» bis «10. Kontrolle, Audit» sichtbar. Die Kapitel sind untereinander verbunden, Tools und Dokumente stets am richtigen Ort griff- respektive klickbereit. Grundsätzlich ist das gesamte System auf Komplettvernetzung ausgelegt. Die Funktionsweise des von der CSI Staub GmbH, Pfäffikon, entwickelten Systems lässt sich anhand des folgenden Beispieles verdeutlichen.
Die Kopas der Firma Muster Gartenbau wird informiert, dass es auf einer Baustelle einen Beinaheunfall beim Baumschnitts gegeben hat. Warum dies passierte, weiss eigentlich niemand so genau. Die Kopas muss eine Gefahrenermittlung durchführen. In der nächsten Teamsitzung wird sie sich bei JardinTOP einloggen und Kapitel «5. Gefahrenermittlung» öffnen. Im Bereich Gefahreninventar sind neben den sogenannten Basisprozessen auch zahlreiche arbeitsbezogene Teilprozesse angelegt wie «T13 Bäume und Sträucher schneiden». Ein Klick auf T13 zeigt klar strukturiert und kompakt eine Übersicht zum Arbeitsablauf, den Gefahren sowie den dazu gehörigen Sicherheitsregeln.
Schnell wird klar, dass es zu überprüfen gilt, ob die Regeln beim Umgang mit der Motorsäge eingehalten wurden. Mit nur einem weiteren Klick gelangt man zu einer Checkliste, die digital ausgefüllt werden kann. Dabei fällt dem Team von Muster Gartenbau auf, dass der betreffende Mitarbeiter nicht über eine geeignete Instruktion verfügt. Beim Schliessen der Checkliste, wird sofort die Massnahme «Schulung des Mitarbeitenden» generiert. Diese Massnahme geht automatisch per Mail sowohl an den verantwortlichen Instruktor, als auch an den Mitarbeitenden. Und übrigens: Wie bei allen Massnahmen, kann auch hier der Status stets im System nachverfolgt werden. Dieser Prozess hat im Beispiel vermutlich deutlich weniger als eine Stunde in Anspruch genommen. Es konnte zielorientiert eine Lösung gefunden werden – ohne ein einziges Blatt Papier zu bewegen.
Zusätzlicher Nutzen
Neben dem Betrieb profitiert aber auch der einzelne Mitarbeitende vom System: Mit seinem persönlichen Zugang kann er beispielsweise jederzeit die Übersicht der absolvierten Schulungen einsehen. Die entsprechenden Dokumente sind abgelegt und abrufbar. Speziell: Die Nachweise der Verordnung über die Unfallverhütung (VUV) sind mit einem QR-Code versehen und damit für das Handy verfügbar. Nebst den spezifischen Schulungen im Bereich Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz können auch andere Kurse und Weiterbildungen erfasst werden.
Affentranger ist überzeugt, dass Betriebe aller Grössenordnungen von der digitalen Branchenlösung profitieren. Seiner Meinung nach könnte das System der Grünen Branche mit wenig Aufwand für viele andere Branchen angepasst werden.
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