«Unbubbel» – das kann als inoffizielles Wort des Tages am diesjährigen Naturgartentag gelten. Eingebracht wurde es in den regen Diskussionen der Tagung von einem der zahlreichen jungen Naturgartenfachleute aus dem Publikum in der bis auf den letzten Platz besetzten Aula. Die Zahl der ausgebildeten Naturgartenfachleute ist mit dem soeben abgeschlossenen 29. Lehrgang für naturnahen Gartenbau (NGL) und den 16 Absolventinnen und Absolventen auf rund 600 gestiegen. Inzwischen ist die Nachfrage für den NGL so gross, dass parallel ein zweiter Lehrgang an der ZHAW und eventuell bald ein dritter geführt wird. Erweitert wird auch das Angebot an Modullehrgängen zur Vertiefung: naturnahe Teichgestaltung und Wildstaudenpflege sind jüngste Neuzugänge.
Naturgartenbildungspionier gewürdigt
Wie Tagungsmoderator Rolf Heinisch betonte, ist die Erfolgsgeschichte des NGL zu einem grossen Teil das Verdienst von Jean Bernard Bächtiger, der den NGL in seiner leitenden Funktion an der ZHAW gegen Widerstände von aussen durchsetzte und sich seit seiner Pensionierung als Präsident der Bioterra weiterhin für die Entwicklung des Naturgartens engagiert. «Ein wundervolles Gefühl – dieses volle Haus», brachte Bächtiger seine Freude in der Begrüssungsrede zum Ausdruck. Er verwies auf eine ganze Reihe von Jubiläen: 75 Jahre Bioterra, Start des 30. NGL, 15. Naturgartentag sowie der vor 15 Jahren vollzogene Zusammenschluss der Vereinigung Naturgartenbetriebe (VNG) mit Bioterra. Wie Bächtiger einräumte, ist es ein offenes Geheimnis, dass die beiden Organisationen noch nicht ganz zusammengewachsen sind. Die Erfolgsgeschichte des NGL kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Mangel an Fachleuten besteht. Mit einem eidg. anerkannten Abschluss für Naturgartenfachleute könnte der wachsenden Nachfrage begegnet werden, ist der Naturgartenbildungspionier überzeugt. Wird es gelingen, die Ausbildung für Naturgartenfachleute aus der Nische – der Bubble – in die Mitte der Bildungslandschaft zu führen?
Appelle eines «Urgesteins»
«Jetzt seid ihr dran» – für die Stabübergabe an die jetzige Generation der Naturgärtnerinnen und Naturgärtner als Schlusspunkt seines Referates erntete Felix Meier, vom Moderator als «Urgestein» vorgestellt, viel Applaus – nicht so für seine weltanschaulichen Abschweifungen. Meier würdigte die Pioniere: allen voran Andreas Winkler (1951–1997), Urs Schwarz, Alex Oberholzer und Hans C. Salzmann. Er selbst hat 1985 als Biologe eine Firma gegründet und «musste feststellen, dass er keine Ahnung von Gartenbau hatte». Ein kleiner eingeschworener Kreis gründete damals die VNG und rief ein Label für Naturgartenbetriebe ins Leben. Heute bestehen 72 zertifizierte Bioterra-Naturgarten-Fachbetriebe. Der Branchenverband JardinSuisse habe erst vor Kurzem begriffen, dass Garten etwas mit Natur zu tun hat, war eine der Spitzen, die Meier setzte. Professionalisierung und Kommerzialisierung, wie von Peter Richard seit 2002 als lebendige Naturgärten propagiert, seien wichtig. Richard prägte den Begriff des «gestalteten Naturgartens». Führt auch dies aus der Bubble?
Viele seien naturaffin geworden, bezüglich der Ernsthaftigkeit setzte Meier jedoch aufgrund der Bilder in den Medien ein Fragezeichen: «Von Wildstauden keine Spur – alles Zierstauden.» Und weiter: «75 % checken den Unterschied zwischen kloniert und samenvermehrt nicht.»
Wichtige Wegbereiterin für Wildstauden
Nachhaltig produzierte Pflanzen gibt es in der Schweiz zu wenig. Hierfür besteht nach Einschätzung an der Tagung ein Riesenpotenzial. Mit Patricia Willi kam eine wichtige Wegbereiterin für die Wildpflanzengärtnereien (aktuell über 70) an der Tagung zu Wort. Sie zauberte aus der in 33 Jahren als Leiterin ihrer Wildstaudengärtnerei gefüllten Erfahrungsschatzkiste einige Anekdoten hervor, auch in Erinnerung an Andreas Winkler, der ein Weggefährte war. Die Pionierin wusste durch ihr Fachwissen zu überzeugen und führte gewichtige Argumente an, die für die generative Vermehrung sprechen.
Auch die Unspektakulären fehlen
Willi nannte einige Grundsätze für die Samengewinnung: Pflanzen in der Natur ausgraben ist ein Tabu. Es gilt, von möglichst vielen Pflanzen jeweils wenig Samen zu ernten und nicht jedes Jahr die gleichen Pflanzen zu beernten. Ihrer Zeit voraus war Willi, indem sie die Herkunft der Samen dokumentierte. Das gilt auch für die Sortimentsgestaltung: Kultiviert wurden von Beginn an «nicht nur die schönen Wildstauden, sondern auch Brennnessel oder Spitzwegerich. Auch die Unspektaktulären fehlen den Insekten», sagte Willi. Eine Erkenntnis, die angesichts des Biodiversitätsschwundes aktueller denn je ist und erst jetzt allgemeine Aufmerksamkeit erlangt. Willi wirkte bei den Richtlinien für die VNG-Zertifizierung für Wildppflanzengärtnereien Anfang der 1990er-Jahre mit. Diese Zertifizierung fiel weg und wird nun durch einen Paragraphen in den Bio-Suisse-Richtlinien abgedeckt.
Vielfalt als Versicherung
Die generative Vermehrung ist vielfach nicht die effizienteste Vermehrungsmethode: «Bei vielen Pflanzen, vor allem bei Wiesenpflanzen, ist sie problemlos, bei ebenso vielen aber auch aufwendig.» Die vegetative Vermehrung z. B. von Geranium sanguineum durch Wurzelschnittlinge ergibt bereits nach ein bis zwei Monaten Jungpflanzen zum Topfen – «genetisch identische Klone». Die Samengewinnung hingegen erfordert Geduld: «Man muss sich anschleichen, bevor sie spicken». Ein weiteres Beispiel: Während Polygonatum multiflorum nach Vermehrung durch Teilung und einer Kulturdauer von einem halben Jahr blühfähig sind, jedoch «nicht neugeboren, sondern schon so alt wie die Mutterpflanze», dauert es bei der Samenvermehrung Jahre. Auf die Frage, ob sich dieser Idealismus auch wirtschaftlich auszahlt, sagte Willi: «Es gibt uns noch. Es lohnt sich. Während der 40-jährigen Naturgartenbewegung ist die Nachfrage stetig gestiegen.» Im Hinblick auf die Veränderungen durch den Klimawandel sieht Willi die Vielfalt als Versicherung. «Die Natur setzt nicht alles auf eine Karte. Sie kann so mit Krisen besser umgehen.» Sie gab sich überzeugt: Die durch Mission B in Gang gesetzte dritte Welle – nach der Pionierphase und der durch das Insektensterben angeschobenen zweiten Welle – flacht nicht so rasch ab.
Nachfrage wächst – Nachwuchs fehlt
Die von der ehemaligen Mission-B-Kommunikationsleiterin Bettina Walch moderierte Podiumsdiskussion ging der Frage nach, wohin sich der Naturgarten bewegt. Hans C. Salzmann, einer der Pioniere, sass auf dem Podium mit Sara Stolz, Landschaftsarchitektin, Inhaberin eines Naturgartenbetriebes im Raum Bern, und Sabine Tschäppeler, Leiterin der Fachstelle Ökolgie bei Stadtgrün Bern, deren Projekt «Natur braucht Stadt» mit dem diesjährigen Binding Preis für Biodiversität ausgezeichnet wurde. Wie Tschäppeler beobachtet, kommt der Anstoss aus der Bevölkerung und weniger von Planenden. Das neue Biodiversitätsgarten-Label hat einen Schneeballeffekt bewirkt. Eine Marktlücke bietet sich ihrer Meinung nach bei den steril gestalteten Umgebungen von Wohnsiedlungen. Dass viele Kunden motiviert sind, etwas für die Biodiversität zu tun, stellt auch Stolz fest: «Die Nachfrage ist da. Wir sind relevant. Es fehlen qualifizierte Mitarbeitende.» Salzmann empfahl, den Naturgarten als einen ungenutzten Schatz für die Umweltbildung zu heben. «Versucht nicht, alles alleine zu machen», sagte er. Die Zusammenarbeit mit konventionellen Betrieben war diesbezüglich ein konkreter Vorschlag aus dem Publikum, die Schaffung einer Plattform für das Wildpflanzenangebot ein weiterer.
Auch Markus Weibel, Leiter der Stadtgärtnerei Thun, forderte in seinem Referat über das Label Grünstadt Schweiz zum gemeinsamen Handeln auf: «Wir dürfen uns nicht nur in unserem Garten bewegen.» Zäune entfernen, Planung, Produktion und Bau zusammenbringen, ist das Ziel, das er auch in seiner neuen Tätigkeit als Leiter der Gartenbauschule Hünibach verfolgen will. Fakten zum Biodiversitätsschwund und der Versiegelung, die die Dringlichkeit zum Handeln unterstreichen, trug Bettina Walch zusammen. Die Teilnehmenden entliess sie mit der Aufforderung zum Anpacken. Und ihr dringlicher Appell an die Planenden: «Bitte gestaltet um die alten Bäume herum.»|
Kommentare und Antworten